Französischer Dirigent leitet "Lohengrin": "Ich hatte nicht  davon geträumt, jemals hierherzukommen" Bayreuth-Debüt: Altinoglu bleibt entspannt

Von Michael Weiser

Alain Altinoglu (39)  beerbt beim „Lohengrin“ Andris Nelsons. Wenige Tage vor seinem Bayreuth-Debüt  unterhielt sich der Dirigent mit dem Kurier. Und sprach über die Gültigkeit uralter Reiseführer. Und darüber, wie man als Dirigent Sängern helfen kann.  

 
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Herr Altinoglu, das Buch, das Sie da mitgebracht haben, wirkt nicht gerade wie der aktuelle Guide für Bayreuth.
Alain Altinoglu: Es gibt eine sehr große Tradition in Bayreuth, und das ist es auch, was ich in diesem Buch gelernt habe: Ich sehe dieselben Sachen wie der Autor Albert Lavignac vor hundertzwanzig Jahren. Wir hatten eine Probe mit dem Chor und Herrn Friedrich, und der lernte bei Norbert Balatsch, und der wiederum bei dem und dem. Thielemann wiederum lernte bei Karajan, und so unterschiedlich ist das im Grunde nicht, es ist immer noch derselbe Graben. Man kann sie fühlen, die Tradition, es ist fantastisch. Ich liebe Wagner, seit ich so klein bin. (Alain Altinoglu hält die Hand einen halben Meter über den Boden) Schon Im Radio verfolgte ich die Festspiele in Bayreuth. Bayreuth ist Bayreuth, es ist etwas ganz anderes. Wir hier sind wie eine Fußball-Nationalmannschaft. Von Dresden, Berlin, München, aus anderen Ländern kommen wir zusammen, weil wir Wagner lieben.

Zunächst probten Sie im Festspielrestaurant. Wie war denn das für Sie?
Altinoglu: Wichtig ist für uns die Akustik. Sie ist nicht dasselbe wie im Graben, aber vergleichbar. Es ist möglich dort zu arbeiten. Und ab und zu riechst du die Kantine, dann sagst du dir auch mal, ah, es ist offenbar Zeit für die Pause (lacht).

Wenn man sich Ihre Vita ansieht, staunt man über Ihre Vielseitigkeit.
Altinoglu: Ich bin immer unterwegs. Künftig möchte ich ein bisschen weniger Opern dirigieren, dafür ein bisschen mehr Symphonien. Zurzeit pendle ich zwischen London und hier. Ich denke, dass ich 2016, 2017 vier, fünf Opern mache. Ich liebe Wagner, aber auch die französische und die italienische Oper. Das ist alles sehr wichtig für mich. Wagner ist deutsch, wohnte aber auch in Paris, er kopierte ab und zu Donizetti und Bellini. Man hört das auch bei ihm, diese – Italianitá, zum Beispiel im „Holländer“. Er ist ein Genie, darin, wie er solche Eindrücke verarbeitet und etwas Neues schafft. Übrigens ist er ein Genie auch darin, die Psychologie der Menschen zu erkennen.

Manchmal wird es magisch

Und jetzt interpretieren Sie ihn an einem seiner ureigenen Orte, als verhältnismäßig junger Dirigent. Erstaunt Sie das?
Altinoglu: Ja, weil die Möglichkeit, in Bayreuth zu dirigieren etwas ganz Besonderes und ein Traum für viele Musiker ist. Ich unterrichte auch in Paris, und ich sage Ihnen: Sie können nur eines machen, arbeiten, studieren, Ihr Bestes tun in der Probe. Ich frage ich mich stets, was kann ich besser machen, jeden Tag frage ich mich das. Wenn du denkst, du bist gut, dann geht das nicht. Du kannst aber nicht vor dem Orchester grübeln, da musst du führen, aber zu Hause kann man dann schon nachdenken. Wenn die Leute auf den Dirigenten schauen, denken sie sich, das ist magisch. Aber das ist viel Arbeit; das Orchestrieren, die Analyse, die Psychologie. Viel Schweiß muss fließen. Und manchmal wird es dann tatsächlich magisch.

Schweiß ist hier in Bayreuth ein besonderes Thema, in der Hitze des Festspielhauses.
Altinoglu: Ich war schon mal bei einer Probe dabei, und diese Erfahrung war erstaunlich. Es ist, als ob du in der Hölle sitzt, und dann kommen die Stimmen von oben. Das Orchester war sehr laut, und Kirill sagte: Stopp, ich möchte das Ganze etwas transparenter. Für mich war es dann erst erst recht sehr laut. Aber er war sehr zufrieden. Das sind besondere Umstände in diesem Orchestergraben. Du musst zwischen Chor und Orchester eine kleine Verzögerung einplanen, weil das eine das Ohr der Zuhörer leichter und schneller erreicht als das andere. Was mich betrifft, geht es bis jetzt alles sehr gut.

"Irgendwann wird es einen Weltsound geben"

Sind Sie nervös?
Altinoglu: Nein, nein, ich werde nervös, wenn ich mit Leuten arbeite, die keinen Respekt zeigen. Wenn ich mit einem Team arbeite, mit Leuten, die ihr Bestes versuchen, dann werde ich auch nicht nervös. Ich bin keiner von denen, die rumschreien. Das durchschnittliche Niveau heute ist so hoch... Viel besser als vor vierzig Jahren! Heute muss man nicht rumschreien, ich merke das auch bei den Studenten in Paris. Die wissen schon selber Bescheid. Die wirtschaftliche Situation ist so schwierig, früher wusstest du, du wirst sicher einen Job finden. Heute musst du dich richtig anstrengen, die wissen ja selber, dass es schwierig werden wird.

Die wirtschaftliche Lage ist nicht das einzige, was Musiker beeinflusst. Sie machen sich auch über das Internet Gedanken. Inwiefern verändert das Internet den Klang der Orchester?
Altinoglu: Du kannst in Chicago sitzen und jemandem aus Tokio zuhören. Früher gab es typische Sounds. Irgendwann wird es einen Weltsound geben, das hat schon angefangen. Eigentlich gibt es zwei Wege, ein Orchester zu leiten. Karajan zum Beispiel hatte einen Sound, und eigentlich war es überall gleich, ob er Beethoven dirigiert oder Debussy. Oder man geht davon aus, dass jeder Komponist seinen eigenen Klang braucht. Der Mittelweg wäre das Beste. Es wäre schön, zu hören, ah, das sind die Münchner, aber sie spielen gerade den und den Komponisten, so wie er es auch gerne gehört hätte.

Was war der Anlass für Ihre Begeisterung für Wagner?
Altinoglu: Da gibt es keinen Grund. Das war einfach ein Gefühl. 1995 war ich mit meiner Frau hier in Bayreuth, wegen eines Wettbewerbs. An jenem Abend wurde die „Walküre“ gegeben. Ich sagte zu meiner Frau, „Wir müssen uns das anschauen“. Wir hatten leider keine Karten. Dann sah ich einen Mann, der seinen Mantel öffnete, und am Futter hingen Tickets. Nur: alle zu teuer. Wir gingen zur Abendkasse. Dort sagte man uns nur, wie lange man eigentlich auf einer Warteliste stehen müsste, um an Tickets zu kommen. Wir trafen den Mann mit dem Mantel wieder. Doch mittlerweile waren die Karten noch teurer geworden. Wir hatten dann doch noch Glück, kamen an Tickets. Wir gingen rein. Die Mädchen schlossen die Türen, dann ging es los. Ich hatte Tränen in den Augen. Es war so ein – Schock. Ich hatte nicht einmal davon geträumt, jemals hierherzukommen.

Glückwünsch, nun dirigieren Sie den „Lohengrin“.
Altinoglu: Ich bin besessen von Klangfarben, und da sind so viele Farben zu finden. Ich arbeite daran, mit dem Orchester, das ist sehr wichtig. Der gute Übergang, das ist entscheidend. Du hast schließlich weniger Leitmotive. Es war nicht die beste Zeit, die Wagner persönlich erlebte, als er „Lohengrin“ schrieb, aber du hörst das nicht. Es war ja dann auch ein Riesenerfolg. Wichtig ist, dass du die Worte gut verstehst.

"...zu sehen, wie man's nicht macht"

Sie studierten am Conservatoire de Paris, jedoch nicht Dirigieren, wie man vermuten könnte, sondern Korrepetition. Wie profitieren Sie heute von dieser Ausbildung?
Altinoglu: Zwischen 16 und 25 war ich Korrepetitor. Der Korrepetitor ersetzt in der Probenphase das ganze Orchester. Und ich habe viel dabei gelernt. Ich war übrigens auch Souffleur. Das erste Mal bin ich Eva Wagner-Pasquier begegnet, da spielte ich beim Casting Klavier. Ich war 18 Jahre alt, und sie fragte mich nach meiner Meinung! Ich habe mit großen Dirigenten gearbeitet, aber auch mit sehr schlechten. Das war übrigens auch wichtig: zu sehen, wie man es vielleicht besser nicht macht.

Ihre spätere Frau haben Sie in jener Zeit kennengelernt, eine Sängerin. Was haben Sie von Sängern gelernt?
Altinoglu: Ich habe gelernt, wie man atmen muss. Die Stimme ist das natürlichste Instrument. Du hast verschiedene Typen als Sänger. Spezialisten für Wagner und Strauß sind sehr diszipliniert, das sind Spezialisten für italienische Opern nicht so sehr. Ich habe mal mit Petra Lang darüber gesprochen. Sie sagte, wenn wir nicht diszipliniert sind, dann überleben wir nicht. Ich habe auch gelernt, wie man Sängern helfen kann.

"Wenn ich Wagner dirigiere, denke ich nicht an Jazz"

Wie denn?
Altinoglu: Es strapaziert die Stimme eines Sängers sehr, wenn das Orchester zu laut ist. Klaus Florian Vogt pusht niemals, der muss keinen Druck auf seine Stimme legen. Aber das ist bei anderen Sängern anders. Das Wichtigste: Wenn du merkst, dein Tristan verabschiedet sich, dann musst du Gas rausnehmen. Oder ganz leicht das Tempo wegnehmen, das hört das Publikum gar nicht.

Sie spielen gerne Jazz. Wagner aber ist genau das Gegenteil von Jazz, er mit seinen ganz genauen Anweisungen...
Altinoglu: Es gehört zu meinem Charakter, sehr offen zu sein. Ich kann gegensätzliche Sachen miteinander vereinbaren. Ich mag Physik, aber auch Sport. ich mag meine Arbeit als Dirigent, und ich mag Familie. Und ich mag Jazz. In Zürich haben wir mal den „Fliegenden Holländer“ gemacht. Zwischen den Vorstellungen habe ich in der Tonhalle Gershwin gespielt. Und ich habe improvisiert. Ich spielte eine Jazzversion von „Holländer“. Es gibt sogar einen chinesischen Musiker, der verbindet „Happy Birthday“ mit „Tristan“. In meinem Kopf gibt es manchmal Verbindungen, manchmal nicht. Aber: Wenn ich Wagner dirigiere, denke ich nicht an Jazz.

Sie beerben Andris Nelsons. Wie sieht’s da mit der eigenen Handschrift aus?
Altinoglu: Wir haben eine Menge neuer Leute im Orchester. Einige kennen Andris Nelsons noch, andere sind neu. Ich kannte viele Gesichter. Ich blickte in die Runde und erkannte den, den und den, weil ich so viele Orchester schon dirigiert habe. Nelsons hat ein anderes Temperament, aber das Orchester ist so gut, da stellt sich mühelos ein. Manche Sachen sind ohnehin an das Geschehen auf der Bühne gebunden. Als Dirigent bin ich da Teil eines Teams. Das ist in der Oper ein wenig anders als bei Symphonien. Ich kann einen gewissen Einfluss ausüben. Aber am Ende ist es ihre oder seine Stimme, die den Eindruck vervollkommnet. So machen wir Teamwork. Klar ist aber auch, dass jeder Dirigent seine Handschrift hat. Es ist so: Die Musiker werden auf dich schauen. Auf deine Haltung, dein Lächeln, deine Augen. Sie kennen die Partitur, sie spielen aber doch auch für dich.

Das Gespräch führte Michael Weiser

INFO: Alain Altinoglu, geboren 1975 in Paris, ist regelmäßig an allen großen Opernhäusern weltweit zu Gast, aber auch bei den Festspielen in Salzburg, Orange und Aix-en-Provence. Außerdem dirigiert er renommierte Orchester, darunter auch die Staatskapelle Dresden. Zu den Höhepunkten seiner Laufbahn gehört „Der Fliegende Holländer“ mit Bryn Terfel in der Titelpartie am Opernhaus Zürich sowie in einer konzertanten Aufführung in der Londoner Royal Festival Hall. Alain Altinoglus besondere Liebe gilt dem Liedgesang. Er begleitet regelmäßig die Mezzosopranistin Nora Gubisch am Klavier. Am 26. Juli feiert er in Bayreuth seinen Einstand bei "Lohengrin". 

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