Baustellen-Tourismus am Parkplatz

Von Sonny Adam
Foto: Sonny Adam Foto: red

Riesige Bagger haben ein Loch in Kulmbachs Mitte gegraben. Die Decke der einstigen Tiefgarage ist längst beiseite geräumt, jetzt schaffen große Lastwagen und Megabaustellenfahrzeuge die Überreste weg. Eine Staubwolke liegt über Kulmbachs Mitte. Es ist laut, dreckig. Eigentlich müsste dieser Ort von den Menschen gemieden werden. Doch das Gegenteil ist der Fall.

 
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Rund um den Bauzaun hat ein regelrechter Baustellentourismus eingesetzt. In kleinen Grüppchen stehen die Menschen um Kulmbachs größte Baustelle der letzten Jahrzehnte und staunen. Die Frauen riskieren nur ein paar kurze Blicke, plaudern ein bisschen, gehen dann weiter. Doch die Männer können sich von der Tiefgarage und was die Bagger von ihr übrig gelassen haben, nicht so schnell losreißen. Minutenlang verweilen sie und drücken sich die Nase am Bauzaun platt.

Er kann sich nicht satt sehen

„Ich bin hier, weil wir unseren Betriebsausflug nach Kulmbach gemacht haben. Ich muss ehrlich sagen, das ist schon was, was hier passiert“, sagt Franz König (69). Er kann sich nicht satt sehen. Minutenlang harrt er am Bauzaun aus. Dann wechselt er den Standort. Natürlich muss er auch von der anderen Seite noch einmal schauen. „Die Gerätschaften sind einfach sehenswert“, sagt König. „Schon alleine deshalb hat sich der Ausflug nach Kulmbach gelohnt. Das hier ist einfach riesig“, schwärmt Sebastian Pickl (66).

Offen gibt Pickl zu, dass die Baustelle ihn bei seinem Ausflug nach Kulmbach am meisten fasziniert hat. Pickl kommt ebenfalls aus Berching. Und er war Zeit seines Lebens selbst Baggerfahrer. „Wenn man dann so was sieht, da muss man einfach stehen bleiben und schauen. Ich hab’ ja auch Bagger gefahren – über dreißig Jahre, aber so einen großen nicht“, bedauert Pickl. Gerne würde er das riesengroße Männerspielzeug auch einmal steuern. Mit 66 Jahren wäre das für ihn die Krönung.

Vertrauen, dass alles rechtzeitig fertig wird

Was sagt ein Fachmann über den Zeitplan – wird der Zentralparkplatz trotz Durchstichs bis zum nächsten Bierfest wieder einen Deckel haben? „Na ja, mit solchen Gerätschaften kann man das wahrscheinlich schon schaffen. Da kann man Vertrauen haben“, urteilt Pickl. Längst ist „das Loch“, wie die Kulmbacher den Zentralparkplatz umbenannt haben, zum Männer-Staun-Platz geworden. Nicht nur Touristen bleiben stehen, auch die Einheimischen riskieren mehr als nur einen Blick im Vorbeigehen. Joel Kossert (9) hat sich eigens ein Eis gekauft. Im Becher, damit nichts tropft, falls er zu sehr abgelenkt ist.

Genüsslich löffelt er sein Eis und schaut dabei dem Treiben in Kulmbachs Untergrund zu. „Ich bin heute zum ersten Mal hier. Aber ich schaue mir das noch mal an. Ich komme auf jeden Fall wieder“, sagt Joel nur. Auch Tobias Bittermann (35), sein Begleiter, ist fasziniert. „Eigentlich sollte man die Baustelle so lassen. Man sollte keinen Sichtschutz drum herum machen. Auch nicht, wenn Fenster drinnen sind. Gut – vielleicht wäre das für die Anwohner besser, aber staubig und laut ist so eine Baustelle sowieso, und man kann eben ohne Sichtschutz besser in die Baustelle schauen“, sagt Bittermann.

Plätze auf der Bank gesichert

Die Menschen stehen in Kulmbachs Mitte nicht nur am Bauzaun, sondern einige haben sich auch die Bankplätze gesichert. Hans-Joachim Wirth (63) ist einer davon. „Es ist ja eigentlich traurig, dass so eine Tiefgarage nicht einmal vierzig Jahre hält. Eigentlich dürfte das hier alles nicht sein“, findet Wirth. Und wenn er überlegt, dass die neue Tiefgarage, die 14 Millionen oder mehr kosten wird, vielleicht ebenfalls nicht einmal ein halbes Menschenleben überdauern wird, kann er nur mit dem Kopf schütteln. „Aber ich habe schon Zuversicht, dass die Stadt das alles bis zum nächsten Bierfest schaffen kann. Die muss das schaffen“, sagt Wirth.

Sein Banknachbar Thomas Seidel (45) schließt sich mit dieser Meinung an. „Ich sitze ja nur hier, weil ich Hermesfahrer bin und auf mein Auto warte“, sagt Thomas Seidel. Der Platz an der Baustelle wird nie langweilig. Immer wieder gibt es auf der Megabaustelle Neues zu entdecken. Noch ist der Blick frei. Doch Oberbürgermeister Henry Schramm hat angekündigt, dass er die Baustelle mit einem Sichtschutzzaun verkleiden möchte. Das bedauern die Loch-Fans indes schon jetzt. Dass Gucklöcher im Zaun sein sollen, tröstet die kleinen und großen Baustellentouristen nur wenig. „Man könnte die Baustelle offen lassen. Man muss doch sehen können, was passiert – von allen Seiten“, sagt Hans-Joachim Wirth und spricht damit allen anderen aus der Seele.

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