"Meine Zweitfamilie"
Das wird für sie ab heute heißen: Bewerbungen schreiben. „Ich möchte in die Transfergesellschaft. Die letzte Bewerbung habe ich vor 20 Jahren geschrieben, an BAT. Ich weiß gar nicht mehr, wie das geht.“ Täglich acht Stunden mit den Kollegen, das „ist meine Zweitfamilie“, dass die auseinander bricht ist für sie so schlimm wie der Jobverlust. Das ist immer wieder zu hören: Die Erinnerung an die große Familie. Die auch jetzt füreinander da sei. „Wir lachen. Und wir weinen miteinander“, eine Frau hat auch starke Männer weinend zusammenbrechen sehen. Die Umarmung von jemandem, der genau weiß, wie es dem Gebeutelten jetzt geht, hilft. „Fürchterlich sind die Schicksale von Familienvätern“, sagt die Frau. „Einer hat drei Kinder, davon ist eines krank. Er ist Alleinverdiener. Dem sollte der Geschäftsführer mal in die Augen sehen.“
"Jetzt stehen wir vor einem großen Loch"
Eine 50-Jährige genießt den Burger von „Maisel“. Morgen, am Donnerstag, ist sie auf den Tag genau 33 Jahre bei BAT. Hat hier gelernt. Hat hier ihre große Liebe getroffen. Mit dem Geld, was das Paar verdiente, haben sie drei Kinder großgezogen. „Jetzt stehen wir vor einem großen Loch.“
Der Protest der Kinder
Mit Schicksalsschlägen geht jeder anders um. So auch die beiden. „In den ersten zwei Wochen haben wir wenig miteinander geredet, jeder verarbeitete es anders. Was toll ist: Unsere Kinder haben uns Unterstützung zugesagt.“ Wobei, sie denkt nach, es solle ja nicht so sein, dass die Kinder für die Eltern sorgen, nicht schon mit 50. „Die Kinder sind groß. Wir wollten jetzt ein kleines bisschen Luxus für uns haben: Mal in ein Hotel, nicht immer campen.“ Die Träume sind vorbei. Ferienpläne auch. Dafür macht sich die Angst vor Altersarmut breit. Die 50-Jährige hat Schiss vor dem heutigen Tag. „Ich vermute, dass ich nach Verkündung des Sozialplanes noch einmal in ein großes Loch falle. Man bekommt einfach keine Übung mit solchen Schlägen.“ Die Kinder rauchen jetzt Zigarettenmarken, die nicht in Bayreuth hergestellt werden. Das ist ihre Art des Protestes.
Jobverlust schon einmal erlebt
Ein wenig abseits sitzt ein 48-Jähriger. „Ich erlebe das zum zweiten Mal.“ In Berlin hat er schon für BAT gearbeitet, bis der Standort aufgelöst wurde. „Aus den gleichen Gründen wie hier in Bayreuth: Überproduktion in einem anderen Werk.“ Er entschied sich, nach Bayreuth zu kommen. „Der Betrieb war toll. Sonst wäre ich nicht mitgegangen.“ Das war vor 18 Jahren. Er gehört zu den prognostizierten Verlierern, um die sich die meisten sorgen: zu jung für den Vorruhestand, zu alt für den normalen Arbeitsmarkt, da macht sich auch der 48-Jährige nichts vor. „Gedanken mache ich mir erst später. Es kann warten, dass ich keinen Schlaf finde.“
Auch er wartet mit Spannung aufs Ende der Verhandlungen. „Ich vertraue dem Betriebsrat und der Gewerkschaft. Ich denke, das wird ein Sozialplan, wie ihn Deutschland noch nicht gesehen hat.“ Und wenn nicht? „Dann steht die Mannschaft wie eine eins. Die Leute sind heiß auf Streik.“
Der Mann in der Latzhose hat bislang den Gesprächen zugehört. Er blickt in die Runde: „Das ist schon irre: Wie oft habe ich mir gedacht: Wie soll ich es mein Leben lang bitteschön mit diesem Haufen aushalten?“ Die anderen lachen befreit. „Und jetzt sitze ich da und frage mich, wie soll ich es mein Restleben ohne sie aushalten?“ Die anderen nicken schweigend. Bis auf einen: „Die Vorstellung, hier nicht mehr reinzugehen – das schafft mein Kopf noch nicht.“ Dann steht er auf und läutet die Glocke zur vollen Stunde.
Die Vorgeschichte:
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