Auswahl für Medizinstudenten gerügt

Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa Foto: red

Das Zulassungsverfahren für Medizinstudenten muss neu geregelt werden: Das bisherige System verletze die Chancengleichheit der Studierenden und sei in einigen Bereichen mit dem Grundgesetz unvereinbar, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am Dienstag in Karlsruhe verkündeten Urteil. Bund und Länder müssen nun bis Ende 2019 die neben der Abiturnote angewandten Auswahlkriterien überarbeiten. (Az. 1 BvL 2/14 und 1 BvL 4/14)

 
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Dem Richterspruch zufolge muss unter anderem sichergestellt werden, dass Eignungsgespräche an Universitäten bundesweit in "standardisierter und strukturierte Form" stattfinden, um die Chancengleichheit der Studierenden zu wahren. Aktuell gibt es im Fach Humanmedizin 62.000 Bewerber für knapp 11.000 Studienplätze.

Ausgleich über Landesquoten

Deshalb gilt ein sogenannter Numerus Clausus: 20 Prozent der Studienplätze werden zentral über die Abiturnote vergeben, 20 Prozent über Wartezeiten und 60 Prozent über unterschiedliche Kriterien der jeweiligen Hochschulen.

Die zentrale Vergabe der Studienplätze an Bewerber mit den besten Abiturnoten bezeichnete Gerichtsvizepräsident Ferdinand Kirchhof als "sachgerecht", solange die unterschiedliche Notenhöhe in den Ländern durch sogenannte Landesquoten ausgeglichen werde. In Thüringen kommen etwa 38,8 Prozent der Abiturienten auf einen Notenschnitt von 1,0 bis 1,9; im strengeren Niedersachsen sind es nur 17,2 Prozent.

Weiteres Kriterium

Die Vergabe nach Abiturnoten könne aber ihre "Berechtigung verlieren", wenn nur noch die Stellen hinter dem Komma eines Einserabiturs über die Zuteilung eines Studienplatzes entscheiden, so Kirchhof.

Es ist dem Urteil zufolge "verfassungswidrig", dass der Gesetzgeber die Hochschulen nicht dazu verpflichtet hat, Studienplätze über die Abiturnote hinaus noch nach einem weiteren "eignungsrelevanten Kriterium" zu vergeben. Bei der Studienplatzvergabe dürften etwa auch eine medizinnahe berufliche Qualifikation oder soziale Faktoren berücksichtigt werden.

"Auch weiterhin wird nicht jeder Studienplatzbewerber im Fach Medizin zum Zuge kommen, das Verfahren muss aber gerechter werden", ordnete der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen, die Entscheidung ein.

Transparenteres System

Der Klägervertreter Michael Schacht sagte, die Entscheidung führe zu einem "deutlich transparenteren System" bei der Vergabe von 60 Prozent der Studienplätze durch die Hochschulen. Weil die Verfassungshüter "zusätzlich zur Abiturnote nun auch die persönliche Eignung als Prüfmaßstab einfordern, werden wir in Zukunft bessere Mediziner bekommen".

Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, begrüßte das Urteil als "das richtige Signal zur richtigen Zeit". Er sieht darin "eine gute Nachricht für viele hochmotivierte junge Menschen, denen der Zugang zum Arztberuf bislang de facto versperrt ist".

Weiche Faktoren

Die Ärzteschaft forderte weitere bundesweit einheitliche Kriterien bei der Zulassung zum Medizinstudium. "Sogenannte weiche Faktoren wie Empathie, soziale Kompetenz und Kommunikationsfreudigkeit können durch ein persönliches Auswahlgespräch festgestellt werden", erklärte Dirk Heinrich, Vorsitzender des Verbandes niedergelassener Ärzte NAV-Virchow-Bund. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) sagte der "Rheinischen Post" (Mittwochausgabe), ihr Ministerium werde das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sorgfältig prüfen.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wies darauf hin, dass es nicht nur in Medizin, sondern in vielen weiteren Studienfächern einen Numerus Clausus gebe, zunehmend auch in den Bildungswissenschaften. "Es kann nicht sein, dass in vielen Lehramtsstudiengängen Studienberechtigte abgewiesen werden, während gleichzeitig über einen zunehmenden Lehrkräftemangel geklagt wird", kritisierte GEW-Vize Andreas Keller.

afp

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