Ausgezeichnet: Bei der Awo kochen Demente

Von Peter Rauscher
Ran an die Kartoffeln: Die Bewohnerinnen Irmgard Sauer und Evelyn Gendrisch (3. von links) helfen im Awo-Seniorenzentrum beim Kochen mit, unterstützt von Petra Gräbner und Sören Horn. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Hier kochen Heimbewohner ihr Essen selbst: In den Demenz-Wohngemeinschaften der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Bayreuth werden Mahlzeiten gemeinsam zubereitet, um den Bewohnern das Gefühl von Zuhausesein zu vermitteln. Für dieses Konzept ist die Awo jetzt mit dem ersten Preis bei einem bundesweiten Ideen-Wettbewerb ausgezeichnet worden.

 
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Evelin Gendrisch, ein Tuch auf dem Schoß, sitzt zusammen mit Mitbewohnern und Betreuern am Tisch in der großen Wohnküche in der Spitzwegstraße und schält bedächtig eine Kartoffel. „Hier ist noch etwas Schale“, sagt Betreuerin Petra Gräbner neben ihr und zeigt mit dem Finger auf die Stelle, die nachgebessert werden muss. Evelin Gendrisch legt die fertige Kartoffel auf ein Tuch und greift  gleich zur nächsten.

Das Essen für sie und ihre elf Mitbewohner in der Hausgemeinschaft der Arbeiterwohlfahrt (Awo) für Demenzkranke soll rechtzeitig fertig sein. Und die Bewohner selber werden trotz ihrer geistigen und motorischen Einschränkungen kräftig mitgeholfen haben, dass diese Mahlzeit gelingt – an diesem Tag wie an allen anderen Tagen.

Herzstück ist die gemeinsame Arbeit

Vor knapp zwei Jahren sind die Bewohner ins Awo-Zentrum eingezogen. Die Besonderheit: Statt in einem konventionellen Heim wohnen je zwölf Demenzkranke in insgesamt vier Wohngruppen. Sie schlafen in Einzelzimmern – Ehepaare in Doppelzimmern –, leben aber zusammen, jede Wohngruppe hat ihren eigenen hellen Wohn-Essraum mit offener Küche. „Das Herzstück des gemeinsamen Lebens von Bewohnern und Betreuern ist die Arbeit miteinander“, sagt Awo-Geschäftsführerin Marion Tost.

Bewohner wählen den Speiseplan

Wie das aussieht, erläutert Antje Wagner, Leiterin des Sozialdienstes: Nach dem Frühstück wird mit den Bewohnern abgestimmt, was an diesem Tag gekocht wird. Zur Auswahl stehen immer zwei Gerichte, die jeden Tag frisch selbst zubereitet werden. Mehr Geld als vergleichbare Einrichtungen bekommt die Awo dafür nicht. „Wenn jemand mal ein Gericht nicht mag, geht er in die Nachbarwohngruppe oder holt sich sein Essen von dort“, sagt Tost.

Familiäre Atmosphäre

Zubereitet und verzehrt werden die Gerichte gemeinsam am großen Tisch. „Dadurch entsteht eine gemütliche, familiäre Atmosphäre, in der sich demente Menschen wohlfühlen.“ Jeder macht mit, so gut er oder sie kann, je nach Fingerfertigkeit: Die eine schneidet gerade Zwiebeln, der andere schält Obst oder deckt den Tisch, wer mag, steht zusammen mit Begleitung am Herd mit den Induktionskochfeldern, bruzzelt, kocht oder schmeckt einfach nur ab.

Im Hintergrund die Caprifischer

„Die Bewohner sollen sich einbringen und das Gefühl haben, dass sie noch was tun können. Wir bedanken uns jedes Mal für ihre Hilfe, denn Wertschätzung zu erfahren, ist für die Menschen ganz wichtig“, sagt Tost. Und wer wegen fortgeschrittener Demenz nicht mehr selber mithelfen kann, ist wenigstens mit dabei in der Küche, hört die Gespräche, sieht das Treiben wie in einem ganz normalen Alltag - und als Hintergrundmusik sind die Caprifischer oder andere alte Schlager zu hören.

Mit der Polonaise ins Nachbarhaus

„Wo alle gemeinsam sehr gerne mitmachen: Wenn wir mit Angehörigen und mit der benachbarten Tagespflege zusammen Feste feiern“, sagt Wagner. Maitanz, Fasching, Weinfest mit Livemusik - da ziehen die Bewohner in einer Polonaise mit Musikern von einer Hausgemeinschaft zur nächsten, und auch ein wenig Alkohol ist kein Tabu -, wenn nicht der Medikamentenplan das verbietet. „Beim Singen und Tanzen fühlen sich Menschen mit Demenz voll zugehörig, sie können uneingeschränkt mitmachen“, sagt Pflegedienstleiterin Ingrid Kodik. "Und Bier schmeckt auch besser zur Bratwurst als Tee."

"Innovativ und beispielgebend"

Weil dieses Konzept nach Auffassung der Jury „innovativ und beispielgebend“ ist, erhielt das Awo-Zentrum einen ersten Preis beim „Wettbewerb für emotionale Genusskonzepte in der Seniorenverpflegung - vom Kostenfaktor zum Glücksfaktor“. An dem Wettbewerb von Transgourmet Deutschland, Belieferungsgroßhandel für Nahrungsmittel, hatten sich mehr als 50 Einrichtungen aus ganz Deutschland beworben.  Als Preis gibt es ein Medienpaket mit einem kostenlosen Imagefilm und professionellen Fotos – wobei das Bayreuther Awo-Zentrum Werbung eigentlich nicht nötig hat. „Seit unserer Eröffnung sind wir andauernd voll belegt“, sagt Tost. „Die Auszeichnung als „Impulsgeber für Genuss“ ist für unsere Mitarbeiter aber eine tolle Anerkennung.“  Die auch gleich gebührend gefeiert wurde - natürlich zusammen mit den Hausbewohnern.

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