Artur Schödel Aus dem Leben eines Glückskindes

Von Andreas Gewinner

Wenn Artur Schödel auf sein fast 90 Jahre währendes Leben zurückschaut, kann er oft sein eigenes Glück nicht fassen. Ein Leben, das schon vor über 70 Jahren fast vorbeigewesen wäre – Bauernbub, Soldat, Kriegsgefangener, USA-Stipendiat, jahrzehntelang Lehrer in Pegnitz, Ortshistoriker. Vor allem aber eines: „Ich war immer ein Glückskind“, sagt der rüstige Senior und lächelt sein verschmitztes Lächeln.

 
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Vor sich hat Schödel (88) sein Leben ausgebreitet: den zerfledderten Entlassungsschein aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft, eine vergilbte Ausgabe einer US-Tageszeitung von 1949 – auf einem der Fotos auf der Titelseite: ein jugendlicher Artur Schödel.

Ein Fachbuch über den Einsatz moderner Audiomedien im Englischunterricht, eine Postkarte von einer dankbaren Schülerin (was die Schülerin von damals heute schreibt, können regelmäßig Kurierleser im südlichen Landkreis lesen). Und ein ganzer Stapel Veröffentlichen zur Historie seines Heimatortes im Landkreis Wunsiedel. Ein deutsches Leben, geprägt von Heimat und Ferne, vom Krieg und einem Gelobten Land namens Amerika.

Arbeitsdienst statt Flakhelfer

Schödel kommt 1928 in Weiherhöfen bei Weißenstadt zur Welt, als „Bauernbub“, wie er sagt. Der Krieg rückt näher, als er 16 Jahre alt ist. 1945 wird in Hitler-Deutschland das letzte Aufgebot mobilisiert, auch Jugendliche und Kinder. Doch Schödel hat Glück: Statt Flakhelfer zu werden, die in den Großstädten die schweren Flugabwehrgeschütze gegen die alliierten Bomberströme bemannen müssen, kommt er zum Reichsarbeitsdienst, „vielleicht wegen meiner guten Noten“, vermutet er.

Den Arbeitsdienst erlebt er als „Sklaverei“, aber immer noch besser als Krieg. Doch der holt ihn im März 1945 ein, er kommt zu einer Artillerieeinheit im österreichischen Wels. Wieder hat er Glück im Unglück, relativ gesehen: Eine schwere Rippenfellentzündung fesselt ihn im Lazarett ans Bett, während seine Einheit an die Ostfront geworfen wird, damals so gut wie ein Todesurteil. Bis der Krieg vorbei ist, werden drei seiner Wunsiedler Klassenkameraden gefallen sein. Ihnen hat Schödel 49 Jahre später mit einem Buch ein Denkmal gesetzt.

Auf abenteuerlichen Wegen

Aufgrund seiner schweren Erkrankung wird er sozusagen im Bett liegend vom deutschen Soldaten zum amerikanischen Kriegsgefangenen. Halbwegs genesen im Juli entlassen, schlägt sich der auf 49 Kilo abgemagerte Halbwüchsige auf abenteuerlichen Wegen auf Güter- und Kohlezügen Richtung Heimat durch. In Falls bei Gefrees verlässt er den Zug, auf dem Fußweg nach Weißenstadt kommt er in Voitsumra an Ruinen, Spuren letzter Kämpfe, vorbei, im Kopf die bange Frage: Wie wird es Weiherhöfen ergangen sein? Doch der Ort ist unbeschadet durch den Krieg gekommen.

Schödel sagt: „Ich wollte mit zehn Jahren schon Lehrer werden.“ Doch bevor er in München studieren kann, muss er sich in der teils kriegszerstörten Stadt als Bauhilfsarbeiter bewähren. Seine guten Noten an der Uni eröffnen ihm eine einmalige Chance: Ein Stipendium für ein Jahr an einer Universität in den USA.

"Ich bin ein halber Amerikaner"

Doch nur ein Prozent der Bewerber wird genommen. Schödel ist einer von ihnen. Vom einstigen Kriegsgegner, dessen Gefangener er vier Jahre zuvor war, wird er mit offenen Armen empfangen: „Ich bin bis heute gerührt von diesem Willkommen“, bekennt Schödel, bis heute hat er Kontakte zu Mitstudenten von damals: „Ich bin ein halber Amerikaner.“

Schödel wird Gymnasiallehrer für Englisch, Deutsch und Geschichte. Von 1956 bis 1992 unterrichtet er am Gymnasium in Pegnitz ganze Generationen von Schülern, vor allem in der Oberstufe, nimmt Abiturprüfungen ab. Seine erste Klasse hat 51 Schüler – heute undenkbar.

Auch an der Hotelfachschule und an der Volkshochschule gibt er Englisch. Stolz schwingt mit, wenn Schödel erzählt, was aus Schülern von ihm geworden ist: viele Lehrer (was für den Pädagogen Schödel spricht), Professoren – und Journalisten. Der Krisenreporter Till Mayer, der für Spiegel-Online schreibt. Oder Brigitte Grüner, die auch für den Kurier schreibt.

Schödel hat auch ein Fachbuch mit Praxistipps für Lehrer geschrieben, über den Einsatz des Tonbandgeräts im Englischunterricht: „Tonbänder gab es damals an den meisten Schulen, aber die Lehrer wussten nicht, wie sie es einsetzen sollten.“ Das 1964 erschienene (und 1973 erneut aufgelegte) Buch wird so etwas wie ein Standardwerk, aber heute ist es „megaout“, wie Schödel selbst sagt. Tonbandgeräte sind heute Antiquitäten. Das Buch kann man heute noch auf Amazon gebraucht kaufen.

Pionier des Mädchenfußballs

Als „halber Amerikaner“, der alle zwei Jahre in die USA reist, initiiert er eine Partnerschaft mit der American High School in Vilseck. Und wird unfreiwillig zu einem Pionier des Mädchenfußballs in der Region. An der AHS hat Mädchenfußball Tradition, also gründet Schödel am Gymnasium Pegnitz eine eigene Mannschaft – zu einer Zeit, als Mädchenfußball hierzulande noch ein exotischer Sport war: „Wir haben natürlich verloren.“ Zu seinem Bedauern schläft die Partnerschaft nach seiner Pensionierung wieder ein. Amerikabegeisterung ist offenbar auch eine Frage der Generation.

Im Ruhestand widmet er sich der Historie seines Heimatortes – Weiherhöfen, nicht Pegnitz. Er verfasst ein Dutzend Beiträge für die „Weißen-städter Hefte“, erforscht die Geschichte von Weiherhöfen. Das interessante Bezüge zu Bischofsgrün auf der anderen Seite des Schneebergs hat: Dort, wo Schödels Elternhaus steht, war vor über 300 Jahren der Standort einer Glashütte der bekannten Bischofsgrüner Glasmacherdynastie Greiner.

Seit drei Jahren lebt Schödel im oberbayerischen Erding, in der Nähe seiner Tochter. Dieser Tage war er das erste Mal seit damals wieder in der alten Heimat, hat erstmals das Gesundzeitresort Siebenquell gesehen: „Es steht heute genau dort, wo ich als Bauernbub auf dem Feld Kartoffeln geklaubt habe.“

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