Stefan Bittner (33) schafft keine drei Sätze am Stück. Er keucht mehr, als dass er spricht. 20 Kilo hat er in den vergangenen Wochen abgenommen. Und das Gespräch mit dem Reporter muss er wegen Schwäche beenden. Schon immer hatte er Probleme mit Sodbrennen, sagt er. Dann die Diagnose: Zwerchfellbruch. Unangenehm, aber leicht zu behandeln.

Ständiges Erbrechen

Nach der Operation am 8. August „war es eigentlich besser“, sagt Bittner. Einige Tage später klagte er über Dauer-Übelkeit, Bauchschmerzen und Schwindel. Ständig erbricht er sich, Nahrung kann er seitdem fast keine zu sich nehmen.

Zunächst lief alles planmäßig. Die Kasse zahlte den Krankenhausaufenthalt und die ersten beiden Wochen nach der Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber. Aber laut Gutachten der Ärzte und dem Kenntnisstand des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse endete Bittners Krankenstand am 4. Oktober. Die AOK teilt ihm das mit, wünschte ihm noch „einen guten Start am Arbeitsplatz“. Aber trotz dieser Prognose war Bittners Zustand nach seinen Angaben schlechter denn je. Die schwere Arbeit in der Gießerei war nicht möglich. Sein Hausarzt schreibt ihn noch mal krank.

„Dann sind die auf den Trichter gekommen, es könnte psychisch sein“, sagt er. Am 15. Oktober, fast zwei Wochen nach dem prognostizierten Ende seiner Arbeitsunfähigkeit, geht er ins Bezirkskrankenhaus Bayreuth, geschlossene Abteilung, und lässt sich untersuchen. Die Ärzte diagnostizieren bei ihm unter anderem „Zukunftsängste und Hoffnungslosigkeit “, alles in allem eine „mittelgradige“ Depression. Kein Wunder, sagt Bittner, „wenn du kein Geld mehr hast“. Er fühlt sich in der Klinik „verräumt“ und geht am 24. Oktober gegen den Rat der Ärzte nach Hause.

„Der Patient ist voraussichtlich bis 28. Oktober arbeitsunfähig“

Noch am gleichen Tag schickte die Klinik ihren Befund an die Kasse. Darin der Satz: „Der Patient ist voraussichtlich bis 28. Oktober arbeitsunfähig.“ Die zweite ärztliche Prognose, die Bittner wegen seines Zustandes nicht einhalten kann. Auch der Hausarzt hatte inzwischen ein kleines Gutachten zum Befinden Bittners an die Kasse geschickt. Die AOK bleibt dabei: Seit 5. Oktober sei Bittner nicht mehr arbeitsunfähig. Er müsse arbeiten. Seinen Widerspruch lehnt sie ab.

Seitdem sitzt Bittner zu Hause in Geusmanns, erbricht sich ständig und verzweifelt immer mehr. „Soll er so in die Gießerei gehen?“, fragt seine Frau Christine (41). Außerdem steht Weihnachten vor der Tür, der 14-jährige Sohn freut sich auf Geschenke. Das Konto der Bittners ist nach einer Privatinsolvenz völlig leer, die Familie hat sich Geld geliehen. Und die Kasse darf die 2000 Euro nicht überweisen.

Die AOK macht ihm ein „faires“ Angebot: Wenn er am Montag wieder arbeiten geht, bekommt er einen Teil des Krankengeldes, das ihm zugestanden hätte, wäre er ab 4. Oktober nach allen Regeln des Gesetzes krankgeschrieben gewesen.

Rechtlich auf der sicheren Seite

Christian Hartmann, Kreisgeschäftsführer beim Sozialverband VdK Bayreuth, sieht den Fall nüchtern: Es sei „verständlich“, dass die Krankenkasse den Fall so behandelt. Rechtlich sei sie auf der sicheren Seite. Allerdings könne man etwas aus dem Fall Bittner lernen: „Es wäre wünschenswert, wenn es mehr persönliche Untersuchungen“ vom Medizinischen Dienst der Krankenkasse gäbe. Und nicht nur Gutachten nach Aktenlage.

Auch der Arzt Bittners, Franz Macht, macht der AOK keine Vorwürfe. Das seien „Amtsmühlen“. Bestimmte Krankheiten gelten eben ab einem bestimmten Zeitpunkt als „ausbehandelt“. Rückwirkend seien die beiden Erkrankungen Bittners, das gebrochene Zwerchfell und die gebrochene Seele, schwer auseinanderzufieseln. „Beide haben recht“, sagt Macht, „juristisch die AOK, menschlich die Bittners.“

„Uns geht es nur um die Familie“, sagt Gregor Neubauer, Geschäftsstellenleiter der AOK in Pegnitz, der aus Gründen der Schweigepflicht nichts weiter zu dem Fall sagen darf. Nur, was soll er machen, wenn die Mediziner zur Entscheidung kommen, dass ein Patient wieder arbeiten kann? Juristisch sind der Kasse die Hände gebunden. Die Gutachter des Medizinischen Dienstes sind unabhängig – und was sie sagen, hat für die Kassen zu gelten. Und es gebe „nicht so viele Gutachter, dass sie jeden körperlich untersuchen kann“, sagt Neubauer. Er betont, dass die Entscheidungen „im Großen und Ganzen fair“ abliefen.

Allerdings braucht die Krankenkasse „durchgehende Dokumentationen“ der verschiedenen Krankheiten. Die Frage, wann Bittners psychisches Problem genau auftrat, und ob auch dieses dann dazu geführt hätte, dass er arbeitsunfähig ist, wird wohl nur gerichtlich zu klären sein. Das aber will Bittner nicht. Der Prozess könnte sich über ein Dreivierteljahr hinziehen und 800 Euro teuer werden.

„Ich habe seit Montag nichts gegessen"

Ob der kranke Mann am Montag zur Arbeit geht? Er wird es körperlich nicht schaffen. „Ich habe seit Montag nichts gegessen“, sagt er und keucht.