Festspiel-Gespräche Anna-Sophie Mahler betreut den Marthaler-„Tristan“

 Foto: red

„Tristan und Isolde“ ist ein Ausnahmewerk. Bis zu seiner Uraufführung galt es als unspielbar, die Partie des Tristan gilt als mörderisch, Wagner selbst mutmaßte, das Werk könne nur gekürzt aufgeführt werden, weil die Zuschauer die volle Länge nicht ertragen könnten. Auch die Inszenierung Christoph Marthalers ist eine Ausnahmeinszenierung: Sie wird seit 2006 nicht vom Regisseur, sondern von dessen Assistentin Anna-Sophie Mahler betreut. Eva Kröner hat mit Mahler gesprochen.

 
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Frau Mahler, Sie haben in Berlin Opernregie studiert. Wie kamen Sie dazu?
Anna-Sophie Mahler: Zur Oper gab es in meiner Familie eine große Affinität. In meiner Heimatstadt Kassel sind wir oft in Vorstellungen gegangen und ich habe schon als Kind hier in Bayreuth einmal einen Akt „Siegfried“ sehen dürfen. Es wurde auch viel musiziert bei uns, mit drei Jahren bekam ich meinen ersten Geigenunterricht, später kam noch das Singen dazu. Von dem Studiengang in Berlin erzählte mir später eine Freundin, die an der Hanns-Eisler-Hochschule Klavier studierte. Ich war sofort Feuer und Flamme und habe mich um einen Studienplatz beworben.

Wie ging es weiter?
Mahler: Durch einen Zufall kam es während des Studiums zum Kontakt mit Peter Konwitschny und ich konnte bei seiner Hamburger „Don-Carlos“-Produktion hospitieren. Später ergab sich eine Assistenz bei Christoph Marthaler in Zürich, diesmal im Schauspiel. Nach der Zeit bei Konwitschny brachte mich diese zweite Erfahrung zunächst sehr ins Schleudern. Konwitschny hatte genauso inszeniert, wie ich es an der Hochschule gelernt hatte: Es gab ein Konzept, alles war gut durchdacht und perfekt vorbereitet. Auch die Frage, was eine Produktion in gesellschaftlicher Hinsicht erzählen soll, hat diese Arbeit immer begleitet. Konwitschny war ein Meister dieser Methode. Bei Marthaler erlebte ich dann den totalen Kontrast: Regieanweisungen gab es gar nicht. Morgens wurde ausgiebig zusammen gefrühstückt, abends ging man lange zum Essen. Dazwischen probierten die Schauspieler mal ein paar Sachen auf der Bühne aus. Ich sah Marthaler manchmal zu ihnen hingehen und einen Witz machen, nach und nach entstanden konkretere Situationen. Am Ende saß ich in der Premiere und habe fast geweint, weil die Inszenierung so berührend geworden war. Aber ich konnte überhaupt nicht sagen, wie es dazu gekommen ist. Obwohl ich bei keiner Probe gefehlt hatte. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, dass es sehr unterschiedliche Arten gibt, Regie zu führen, dass es dafür kein allgemeingültiges Rezept gibt.

Ist auf diese Art auch der „Tristan“ hier in Bayreuth entstanden?
Mahler: Nein, hier war es ganz anders. Zunächst ging es Marthaler darum, den Sängern zu vermitteln, in welcher Atmosphäre das Stück spielen sollte. Zu diesem Zweck wurden zum Beispiel gemeinsam Filme angesehen. Im zweiten Schritt wollte Marthaler sehen, was die Darsteller auf der Bühne daraus machten. Er achtete auf ihre individuelle Körpersprache und griff das für seine Inszenierung auf. So fügte er vieles aus dem Beobachten heraus zusammen.

Seit 2006 leiten Sie die jährliche Wiederaufnahme der Inszenierung nun ohne den Regisseur.
Mahler: Ja, zusammen mit Anna Viebrock, die Bühnenbild und Kostüme entworfen hat, und mit unserem Dramaturgen Malte Ubenauf. Wir arbeiten als Team und richten die Inszenierung in jedem Festspielsommer wieder neu ein. Die Produktion muss weiter leben und lebendig bleiben, auch wenn sich im Falle einer Umbesetzung das Gefüge verschiebt. Die Herausforderung besteht für uns darin, Szenen an die Körpersprache eines neuen Sängers anzupassen, dabei aber immer im Sinne Marthalers zu handeln.

Was hat es mit der Gruppe Capri-Connection auf sich, die Sie selbst gegründet haben?
Mahler: Dabei geht es mir darum, neben dem beauftragten Inszenieren noch an ganz eigenen Sachen zu arbeiten. Mit dieser Gruppe stellen wir uns für ein Projekt selbst ein Thema, das wir dann für die Bühne aufbereiten. Wir recherchieren, entwickeln Texte und verweben sie mit einer passenden Musik.

Mit welchen Themen befassen sich diese Projekte zum Beispiel?
Mahler: Das ist sehr verschieden. Eines der Ersten etwa hieß „Tote Fliegen verderben gute Salben“, da ging es um Schizophrenie. Die Idee dazu kam mir, als ich meine Schwester auf der Arbeit besuchte, sie ist Psychiaterin. Ihre Station musste ich auf dem Klinikgelände lange suchen, alles wirkte abgeschottet und verlassen. Als ich sie gefunden hatte, erzählten mir die Patienten dort von den eigenartigen Welten, in denen sie aufgrund ihrer Krankheit lebten. So entstand die Frage nach verschiedenen Systemen: Nach den Systemen in den Köpfen dieser Menschen, aber auch nach unserem System, aus dem diese Menschen herausgefallen sind, weil sie darin nicht mehr funktionierten. Wir haben dann lange zum Thema recherchiert, haben unzählige Interviews mit schizophrenen Patienten geführt und uns ihre speziellen Weltbilder genau erklären lassen. Daraus entwickelten wir die Texte für unser Projekt, es kam ein passendes Bühnenbild dazu und die Musik des zeitgenössischen Komponisten Stefan Wirth, der auch selbst mit auf der Bühne stand.

Eigentlich leben Sie in Zürich. Wie viel Zeit verbringen Sie zu Hause?
Mahler: Nicht viel. Im letzten Jahr war es oft nur ein einziger Tag, den ich zwischen zwei Inszenierungen zu Hause verbracht habe. Der war dann gefüllt mit dem Umpacken der Koffer. Und wenn ich mal längere Zeit in Zürich bin, dann arbeite ich auch an einer neuen Produktion. Es kommt im Grunde nie vor, dass ich zum Beispiel etwas lese, was nicht mit meiner Arbeit zu tun hat.

Wie halten Sie das durch?
Mahler: Das frage ich mich auch manchmal, und zwar immer dann, wenn eine Inszenierung schwierig verläuft. Dann merke ich, wie das innere Feuer erlischt, wie mir die Kraft fehlt, alle um mich herum zu begeistern und ich denke: Das schaffe ich so nicht mehr lange. In diesen Phasen wünsche ich mir oft ein ganz normales Leben, ein Zuhause, eine Familie. Aber dann kommt wieder eine Produktion, wie jetzt beim 24-Stunden-Marathon „Unendlicher Spaß“ im Berliner HAU, die mich so glücklich macht, dass sie mir ganz neue Kräfte gibt. Dann sitze ich da, beim Frühstück mit Kollegen, nach einer Nacht, in der keiner geschlafen hat, und bin einfach nur dankbar, dass ich diese Arbeit machen kann.

Möchten Sie denn trotzdem einmal eine Familie haben?
Mahler: Da ist schon eine Sehnsucht da. Es ist in meinem Beruf durchaus möglich, Kinder zu haben, das sehe ich an vielen Kollegen. Im Vergleich zu früher ist es sehr viel üblicher geworden. Ich wünsche mir, dass ich es irgendwann auch hinkriege, Familie und Beruf miteinander zu verbinden. Im Moment reise ich extrem viel. So zu arbeiten, das geht mit einer Familie sicher nicht zusammen, da wird es Kompromisse geben müssen. Aber womöglich werde ich die, wenn es so weit ist, gar nicht als Kompromisse empfinden.

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