Haltbarkeitsdatum überschritten, aber elegant und vollkommen eingelöst Alles, alles, alles geht vorbei

 Foto: red

 Dieser „Tristan“ ist besser als sein Ruf. Viel besser sogar. Wäre er so, wie er angeblich ist, dann wäre er nicht zum Aushalten. Der Ruf der Produktion Christoph Marthalers und Anna Viebrocks könnte bescheidener kaum sein.

 
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Öd, fad und leer sei die Art, wie der Regisseur Marthaler und seine Ausstatterin Viebrock „Tristan und Isolde“ auf die Bühne bringen, heißt es immer wieder. Es passiere ja nichts, heißt es. Nichts bewege sich, heißt es, alle stünden nur herum, niemand berühre sich, es gebe keine Leidenschaft, keine Liebe, keine Verzweiflung, kurz: dieser „Tristan“ sei kein „Tristan“. Sondern irgendetwas anderes, vermutlich eine Zumutung.

Der Punkt ist nur: All das ist falsch. Nichts davon stimmt. Und das liegt nicht nur daran, dass natürlich das Werk selbst wahnsinnig gut konstruiert, komponiert, ja, was eigentlich, vielleicht am ehesten: gewoben ist.

Es liegt auch nicht nur daran, dass Peter Schneider am Pult sitzt und ein ausgezeichnet disponiertes Festspielorchester um sich herum hat, das er souverän, wohlüberlegt und sicher durch den vierstündigen Musikstrom leitet. Gleiches gilt für den Festspielchor, allerdings ist dessen Part so gering, dass sich Chordirektor Eberhard Friedrich am Ende nicht einmal dafür verbeugen mag.

Und auch die Solisten sind nicht der einzige Grund, warum der Abend gelingt – alle Rollen, ausnahmslos, sind glänzend besetzt – nur bei Iréne Theorin nervt es von Jahr zu Jahr mehr, dass man bei ihrer Isolde tatsächlich nicht ein einziges Wort versteht. Außerdem sitzen nur die lauten Spitzentöne so richtig – in den leiseren Momenten, und es gibt viele davon, liegen sehr viele Töne sehr, sehr knapp neben dem richtigen, und ja, auch das nervt ein bisschen.

Robert Dean Smiths Tristan wirkt da, vor allem im Kontrast dazu, weit routinierter, gelassener, auch wenn er sich über ein Forte an diesem Abend nicht hinauswagt.

Aber wie gesagt: Diese Produktion ist nicht nur deshalb gut, weil die meisten ihrer Komponenten gut sind und damit die vermeintlich verkorkste Regie aufwiegen. Nein: Die Inszenierung selbst ist gut. Sie löst das, was sie sich vornimmt, elegant und vollkommen ein. Das Einzige, was man ihr wirklich vorwerfen kann, wenn man will: Sie hat für Bayreuther Verhältnisse ihr Haltbarkeitsdatum überschritten. Sie hatte zu den Festspielen 2005 Premiere, eine Zeit, als ein Ende der Ära Wolfgang Wagner noch nicht absehbar war; Angela Merkel war noch nicht Bundeskanzlerin, und auch sonst war allerhand anders. Die musikalische Leitung lag damals bei Eji Oue, es war kein sehr glückliches Debüt, weshalb im nächsten Jahr Peter Schneider übernahm – eine gute Entscheidung, wie man hört.

Christoph Marthaler selbst kam nur im Premierenjahr zu den Proben, danach ließ er seine Assistenten seine Ideen weiterführen. Seit 2008 obliegt die szenische Leitung Anna-Sophie Mahler – und man weiß nicht, was andernfalls passiert wäre, aber: Schlechter, flacher, langwieriger wurde die Inszenierung dadurch nicht. Ganz im Gegenteil. Und wenigstens spricht es für ein Konzept, wenn es acht Jahre nach seiner Erfindung noch immer funktioniert – ein Beweis, den andere Produktionen, die dieses Jahr in Bayreuth Premiere haben, erst noch antreten müssen.

Die Geschichte ist bekannt: „Tristan und Isolde“ handelt von einer Liebe, die nicht sein darf, weil die irische Königstochter Isolde König Marke von Kornwall versprochen ist, dessen Diener Tristan ist – und den er hintergeht, indem er Isolde liebt. Und wie so oft bei Wagner, zeigt die Musik schon im Vorspiel: Es wird nicht gut ausgehen.

Das Bühnenbild ist altbewährt: Zuerst ein holzvertäfelter Innenraum eines Schiffs, sehr englisch. Dann, im 60er-Jahre-Stil, eine gelb tapezierte Wartehalle – und schließlich ein Krankenlager, vermutlich im Krankenhaus-Keller, es könnte auch eine Baustelle sein. Der jeweils aktuelle Raum wächst dabei von unten nach, die Vergangenheit bleibt sichtbar – wie Jahresringe eines Baumes, hatte Anna Viebrock einmal selbst erklärt, und das leuchtet sofort ein, wie überhaupt die ganze Deutung sofort einleuchtet, sie funktioniert über Gesten, Blicke, Konstellationen – und ist damit auf den ersten Blick verstehbar, mit dem Kopf und mit dem Herzen.

Da ist zum Beispiel die Szene, als Tristan und Isolde den Liebestrank gerade getrunken haben. Sie stehen einander gegenüber, laufen aufeinander zu, um sich zu umarmen – und in letzter Sekunde schiebt sich Brangäne zwischen die beiden, es soll nicht sein, was nicht sein darf. Da ist die Szene im zweiten Aufzug: Isolde erwartet Tristan, hat das Licht gelöscht – und Tristans „Isolde!“-Ruf ist eben nicht, wie er komponiert ist, freudiger Begrüßungsruf, sondern erst noch ein ungeduldiges Suchen.

Aber vor allem ist da die großartige Szene, als König Marke Tristan und Isolde erwischt – Isolde hat ihr Halstuch gelöst und ihre Kostümjacke aufgeknöpft, mehr ist nicht passiert, und die erste Reaktion Markes ist es, Isoldes Jacke wieder zu schließen und ihre Hand auf seinen Arm zu legen – es geht um Haltung, Contenance, alles andere kommt danach. Kwangchul Youn singt die beiden Klagen König Markes so eindringlich und mit solcher Deutlichkeit, dass sich genau hier und genau jetzt die Stärke der Inszenierung entfaltet: das Aufeinanderprallen von dem, was sein muss, und dem, was nicht sein darf, transportiert über ein Bauchgefühl – das glänzende Klarinettensolo tut sein Übriges.

Und natürlich, auch die flackernden Leuchtstoffröhren gibt es noch: im ersten Aufzug, als der Hass in Liebe umschlägt, schweben sie frei im Raum; im zweiten, als die Liebe erst aufblüht und dann auffliegt, sind sie in Formation gezwungen und an die Decke geschraubt, und im dritten, als alles, was war, vor sich hin endet, liegen sie kaputt am Boden und flackern nur noch hie und da auf.

Am Ende fällt kein einziges Buh. Der Jubel ist groß für Michelle Breedt als Brangäne, größer ist er noch für den wunderbaren Jukka Rasilainen als Kurwenal – und am größten fällt er aus für die schon Genannten: Iréne Theorin, Robert Dean Smith, Kwangchul Youn. Und: für Peter Schneider.

Nach dieser Spielzeit verschwindet die Produktion im Fundus, zweimal ist das schon geschehen, und zweimal wurde sie wieder herausgeholt. Wer weiß, ob das nicht 2014 noch einmal passiert. Und wer weiß, ob es eine so schlechte Idee wäre, Reputation hin oder her. Wie hatte Christian Thielemann im Interview mit dieser Zeitung doch gesagt: Man muss nicht immer alles neu machen – das macht nur viel Arbeit, und wer weiß, ob es danach wirklich besser ist als vorher. Ein neuer „Tristan“ wird in Bayreuth 2015 zu sehen sein. Am Pult soll dann Thielemann stehen, die Inszenierung besorgt Katharina Wagner. Er wird anders sein, dieser „Tristan“. Aber besser? Warten wir’s ab.

Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

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