Alexander M. Wagner: Anfang gut, alles gut

Von Frank Piontek
 Foto: red

Alexander Maria Wagner bei Steingraeber: Fingerfertig, mit Liebe zur Dramatik und Sinn für Dramaturgie.

 
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Selten ist nach den ersten Momenten eines Konzerts schon so klar, dass es gut werden wird. „Endlich mal was Neues“, sagt ein Besucher in der Pause, nachdem die letzten Takte einer spektakulären, wiewohl der Tradition verpflichteten Eigenkomposition des glänzenden Musikers und Interpreten verklungen sind. Dieser Feststellung aber hätte es kaum bedurft, denn schon nach Bachs Chromatischer Fantasie und Fuge BWV 903 konnte einem die Idee kommen, dass hier ein junger Mann mit dem natürlichstem Aplomb auf die musikalische Szene trat. Dass er zudem nicht allein „gut spielt“, was bei Steingraeber erwartet werden kann, ist bemerkenswert. Auch die Dramaturgie des Programms gehorcht einer Sicherheit, die selbst in den besseren Steingraeber-Konzerten nicht selbstverständlich ist.

Der junge Mann, Österreicher von Geburt, Weltbürger von seinem musikalischen Ausdruck her, liebt es dramatisch. Bach hat mit seiner Fantasie eine seiner harmonisch und formal zerklüftetsten Kompositionen geschrieben. Es gehört möglicherweise auch zu seinen persönlichsten Werken, denkbar ist, dass Bach den Tod seiner ersten Frau reflektierte. Jedenfalls gerät das Werk unter den Händen Alexander Maria Wagners zu einer kontrollierten Ausdrucksexplosion. Bach schrieb mit dem BWV 903 Zukunftsmusik, allein bei Wagner hört man – das macht natürlich auch der moderne Flügel – die Nähe zu Schumann und den besseren Romantikern. Erstaunlich aber bleibt, wie Wagner die Fuge gestaltet: als Steigerungsdrama über eine relativ feste Form.

Und so geht es weiter: mit Mozarts beiden c-Moll-Werken, der Fantasie KV 475 und der Sonate KV 457. Wagner donnert nicht, er geht vorsichtig zu Werk, wenn er den Beginn der Fantasie genau akzentuiert, um den späteren schroffen Einbrüchen das Überraschungsmoment nicht zu verleiden. Der langsame Sonatensatz erinnert an Beethovens „Gesang eines Genesenden“, bevor das c-Moll-Wunderwerk in heftigem Marcato abschließt. Mozart und Wagner: zwei Spannungskünstler.

Und so geht es weiter: mit Janáceks Reflektion auf die Ermordung eines Arbeiters während einer Demonstration, die der Musiker mit Emphase nachempfindet; der Trauermarsch des zweiten Satzes der Sonate baut eine Spannung auf, die auch unmusikalische Hörer packen sollte. Wagners Kunst ist alles andere als übereilt, wenn er auch die Satzbezeichnung „precipitato“ zu lieben scheint und fingerfertig über die Tasten zu eilen vermag. Sein eigenes Stück „Inferno“ beginnt mit einem brachialen „Rondo precipitato“, das ohne den dritten „Precipitato“-Satz von Prokofjews Sonate Nr. 7 undenkbar wäre. Hier wie dort herrscht rhythmische Dauerextase, die beim Russen zum Rock n’ Roll changiert, bei Wagner zum nachschöpferischen Staccato-Gehämmer.

All das wäre vielleicht einschichtig, verstünde er sich nicht auf die Kontraste, die das Konzert so reich machen: mit Wagners „Mondspiegelungen“, die so klingen, als hätte Anton von Webern Lust gehabt auf tiefe Romantik, und vor allem mit Brahms’ Intermezzi op. 117. Wagner spielt uns eine zarte, im Sinne der Romantik bittersüße Musik des Abschieds, die in den Noten stehen mag. Man muss sie, jenseits aller Banalität, erst einmal aus diesen Noten herausholen.

Wagner ist es betörend gelungen.