Lange vorbereiten konnten Sie sich diesmal nicht.
Dohmen: Es war eine der stressvollsten Studienphasen in meinem Leben. Zum Glück habe ich Alberich schon vor 25 Jahren in Wiesbaden gesungen, und das nur durch die Intrige eines Kollegen. Ich war dort eigentlich als "Rheingold"-Wotan engagiert. Da kam der Intendant und sagte: Herr Dohmen, was halten Sie davon, wenn Sie mal in die Unterwelt steigen. Was, habe ich gesagt - ich junger Sänger - , erlauben Sie mal! Ja, sagte der, da ist ein Kollege, der möchte Ihren Wotan singen. So wurde ich damals Alberich, für dreißig Vorstellungen. Jetzt bin ich dem Kollegen dankbar. Ohne diese Erfahrung hätte ich Olegs Rolle nicht so kurzfristig übernehmen können.
Wie ist Ihr Bayreuther Alberich angelegt?
Dohmen: Ich möchte ihn so differenziert wie möglich gestalten, nicht in der Schiene des deklamatorisch-abgesungenen Sängers. Der Schlüssel dazu ist die Sprache, das Wort ist die musikalische Basis. Es ist ein Privileg, das zusammen mit Petrenko machen zu können. Der ist von der Musik besessen. Wenn man sieht, mit welcher Detaillust und Freude der sich selbst in Verwandlungsmusiken des Rheingolds stürzt, die ich noch nie so geprobt gehört habe. Da ist er wirklich unerbittlich. An Alberichs Fluch sind Petrenko und ich sehr analytisch rangegangen, wollen ein dynamisches Klangspektrum anbieten, das vielleicht so nicht unbedingt die Norm ist. Wir gehen da an den Grenzbereich heran, ganz ins Pianissimo zurück, damit Alberichs Verletztheit richtig rauskommt.
Auf der Bühne treffen Sie mit Wotan zusammen, den Sie selbst jahrzehntelang gesungen haben. Und Wolfgang Koch, der hier Wotan singt, hat jahrzehntelang Ihren Alberich gesungen.
Dohmen: Diese Konstellation ist ziemlich einzigartig. Dass ich einen Kollegen habe, der meisterlich meine eigene Partie beherrscht, weil er Jahre in dieser Welt gelebt hat.
Was ergibt sich aus diesem Rollentausch?
Dohmen: Eine gelassene Kongenialität. Wir sind entspannt und haben Respekt voreinander, fernab von dem Geschwätz: Die bekämpfen sich. Das ist völliger Unsinn. Der Wolfgang ist ein fantastischer Kollege. Aber er raucht mir zu viel auf der Bühne. Bei allem Respekt, hab ich zu ihm gesagt, bitte rauch nicht auch noch in der Tankstelle, wo ich sitzen muss. Das tut er dann, er raucht dann weiter draußen. Phänomenal, ich könnte das nicht. Ich muss auch auf der Bühne rauchen, und nach einem Zug ist bei mir alles verkratzt. Dem macht das überhaupt nichts. Der raucht und singt wunderbar.
Petrenkos größte Sorge
Gibt‘s mal Verwirrung?
Dohmen: In einer Probe ist es mir leider passiert, dass ich die Wotanphrase gesungen habe. Um Himmels Willen, hat Petrenko gesagt, das sei seine größte Sorge, dass wir unsere Partien tauschen.
Meinen Sie, das könnte in der Vorstellung wirklich passieren?
Dohmen: Also in einer Szene muss ich höllisch aufpassen.
In welcher?
Dohmen: Verrate ich nicht.
Aber im „Siegfried“?
Dohmen: Ja, im „Siegfried“. Furchtbar. Nein, auch im Rheingold, da ist auch eine. Weil der Wotan doch so tief drin ist. Ich muss laufend meinem Unterbewussten sagen: Schweig still, das ist jetzt nicht mehr Deine Partie. Studiert habe ich den Alberich übrigens mit einer Aufnahme, auf der ich selbst Wotan singe. Da haben meine Kinder schon gesagt: Papa, spinnst du? Du machst ja immer noch dein altes Programm.
Leben wie die Nomaden
Verbringen Sie die ganze Festspielzeit in Bayreuth?
Dohmen: Ja, ich bleibe hier, die Familie kommt auch. Als ich das letzte Mal hier sang, waren meine Kinder Nibelungenzwerge. Das geht jetzt nicht mehr, sie sind ein bisschen zu groß geworden. Und in dieser Inszenierung gibt es ja auch gar keine Zwerge.
Und was machen Sie hier während des Sommers, neben dem Singen?
Dohmen: Ich kümmere mich um eine Immobilieninvestition. Ich schließe nämlich nicht aus, hier in ein paar Jahren eine ,Wagner Singing Academy‘ zu eröffnen. Ich werde so oft angesprochen von jungen Sängern, ob ich sie unterrichten will. Leider habe ich zu wenig Zeit. Aber irgendwann wird der Moment kommen, um meine Erfahrungen weiterzugeben. Die Singing Academy ist ein Projekt, das ich zusammen mit Kollegen plane, die wie ich Wagner auf der ganzen Welt gesungen haben. Wir wollen das privat organisieren und denken über Bayreuth als Standort nach. Wir wollen anbieten, dass junge Brünnhilden, Wotane, Siegfriede von uns alten Haudegen lernen können. Noch ist das ein Projekt, aber ich denke, es ist dabei, sich zu verwirklichen.
Mit Anschluss an die Festspiele?
Dohmen: Das kann ich noch nicht sagen, dafür ist es viel zu früh.
Ein Sängerleben auf Bühnen in der ganzen Welt: Da mussten Sie familiär sicher auf manches verzichten.
Dohmen: Wir haben die ersten Jahre gelebt wie die Nomaden, meine Frau und ich mit den zwei Kindern. Wir sind immer zusammen durch die Welt gezogen. Dann kam der riesige Einschnitt, als die Schulpflicht anfing. Das Familienleben reduzierte sich auf die Ferien. Deshalb habe ich den Wahnsinn gemacht, permanent im Flieger zu sitzen auf dem Weg nach Hause.
Wo liegt Ihr Zuhause?
Dohmen: Jetzt ist es Freiburg im Breisgau, nachdem wir lange in Italien gelebt haben. Die Deutsche Schule in Rom, wohin unsere Tochter und unser Sohn zuvor gingen, unterrichtet nach den Lehrplänen von Baden-Württemberg. Also wollten wir in dieses Bundesland, um den Übergang zu erleichtern. In Deutschland haben die Kinder als erstes von mir Fahrräder bekommen. Nördlich der Alpen, habe ich ihnen gesagt, fährt man mit dem Fahrrad zur Schule. Nördlich der Alpen ist sowieso vieles anders. Meine Kinder sind Halbitaliener. Sie haben zwei Kulturen und zwei Sprachen und sollen deshalb auch zwei Mentalitäten kennenlernen.
Ihre Frau ist Italienerin?
Dohmen: Ja. Ich kriege oft Kontra von italienischer Seite. Von südlich der Alpen. Wegen des Umzugs zum Beispiel, aber irgendwann habe ich gesagt: Jetzt waren wir fast zwanzig Jahre südlich der Alpen, jetzt gehen wir mal nördlich der Alpen. Und trotzdem fahren sie jede Ferien wieder runter. Tja. Nach Italien.
INFO: Albert Dohmen stammt aus Krefeld und hat nicht nur Gesang studiert, sondern auch Oboe und Jura. Sein Sängerleben begann der Bassbariton in Düsseldorf und Wiesbaden, seit 1991 arbeitet er freischaffend auf Bühnen in aller Welt. Nach Bayreuth kam Dohmen zum ersten Mal 2007 mit seiner Paraderolle: als Wotan in der "Ring"-Inszenierung von Tankred Dorst.