Affentheater im Opernhaus

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Martin Ott, Professor am Institut für Fränkische Landesgeschichte, hat sich mit der Geschichte des Markgräflichen Opernhauses im 19. Jahrhundert beschäftigt. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Wer hätte das gedacht: Artisten statt Orchestermusiker, Pferde statt Opernsänger, Affen statt Dirigenten. Besucher des Markgräflichen Opernhauses mögen diese Stätte als einen Ort der vermeintlichen Hochkultur in Erinnerung haben. Als einen Musentempel, in dessen prunkvollen Nischen noch der herablassend-noble Atem des Feudalismus zu hängen scheint. Das war freilich nicht immer so.

 
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Zu Wilhelmines Zeiten im 18. Jahrhundert gab sich im von Giuseppe Galli Bibiena geschaffenen Pracht-Zuschauerraum die höfische Gesellschaft ein Stelldichein. Doch wie ging es nach dem Ende der Markgrafenzeit mit dem Opernhaus weiter? Fiel das Gebäude – wie landläufig und auch auf Wikipedia behauptet – tatsächlich in einen Dornröschenschlaf?

Martin Ott, Professor am Institut für Fränkische Landesgeschichte in Thurnau, weiß vom Gegenteil zu berichten. Der Historiker hat sich durch die hiesigen Archive gearbeitet und Erstaunliches zu Tage gefördert.

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Im Jahr 1810 kam das Opernhaus zusammen mit dem ganzen Bayreuther Land zu Bayern und wurde von bayerischen Beamten verwaltet, die das Haus nicht nur kulturellen Nutzungszwecken zuführten. In einem Schreiben der Regierung aus dem Jahr 1814 heißt es: „Zum Trocknen des für das Armeemagazin gemahlenen Mehls fehlt es an einem schicklichen Platz, und es muss dazu das Opernhaus auf 14 Tage gebraucht werden.“

Regenwasser im Parterre

In den Kriegsjahren galt das Gebäude in erster Linie als Ressource für militärische Zwecke und wurde als großer, überdachter Raum im Zentrum der Stadt eingesetzt. Der Zustand des Hauses verschlechterte sich. In einem Bericht der bayerischen Baubehörde heißt es: „Das Schieferdach des Königlichen Opernhauses ist in schlechtem Zustand. Regenwasser dringt durch die Verschalung und bildet ganze Lachen im Parterre, die dann tagelang zu sehen sind.“

Mehl statt Musik. Pfützen statt Kolophonium. Doch für den kulturbeflissenen Bildungsbürger kommt es noch dicker: Natürlich gab es im 19. Jahrhundert auch klassische Sprechtheateraufführungen. Gar Richard Wagners Oper „Tannhäuser“ schlägt mit einem Gastspiel des Coburger Hoftheaters zu Buche. Martin Ott stieß bei seinen Recherchen freilich auch auf dieses Ansinnen eines Impressarios namens Harprecht:

„Reisende Araber, welche athletische Produktionen geben, sind dahier angekommen. Ich beabsichtige mit denselben zum Geben einer athletischen und theatralischen Vorstellung im königlichen Opernhause dahier in Verbindung zu treten.“

Eine Zirkusvorstellung im Markgräflichen Opernhaus? Man mag sich nicht ausmalen, wie der Kulturausschuss des Bayreuther Stadtrates heute in nicht-öffentlicher Sitzung über dieses Ansinnen debattieren würde.

Stars der Unterhaltungsbranche

Otts Forschungen bringen hingegen eindeutig ans Tageslicht, dass das prächtige Haus im 19. Jahrhundert nicht nur als Spielort bürgerlicher Hoch- oder Boulevardkultur fungierte. Auch Stars der aufstrebenden Unterhaltungsbranche fanden sich hier ein. Etwa der Zauberkünstler Friedrich Ferdinand Becker, der mit einer spektakulären Show durch Europa tourte, und der es verstand, mit Kanonendonner und Krawall Taschenspielertricks auf der großen Bühne zu inszenieren. Als Beiprogramm hatte der Zauberer die Athletenfamilie Averino mit im Gepäck. Seiltänze, Kraftathletik, Ringkämpfe und auch das einhändige Stemmen eines ausgewachsenen Pferdes gehörten zum Repertoire der Truppe. Im März 1849 brachten es Becker und Averino auf zwölf große Abendsoireen im Markgräflichen Opernhaus.

Doch der Betrieb auf den Brettern, die einst Wilhelmine die Welt bedeuteten, trieb noch weit absonderlichere Blüten. Zu Weihnachten 1858 gastierte ein Wiener Impressario mit dem klangvollen Namen Louis Casanova in Bayreuth. Auch er hatte Tiere mitgebracht. Freilich keine Pferde, sondern Affen. Casanovas „Affentheater“ war auf dem Wiener Prater bekannt geworden und befand sich auf großer Tournee. In einer Leipziger Kritik aus dem Herbst 1858 heißt es: „Wir beginnen mit den Künsten der beiden großen Mandrills. Diese wilden Affen treten als Soldaten auf, zeigen ihren Paß vor, den sie selbst aus der Tasche ziehen und öffnen, sie execieren auf Commando, feuern das Gewehr ab, spielen Geige und schlagen die Becken, ziehen den Säbel und stecken ihn wieder in die Scheide... Nicht minder bewundernswert sind die Leistungen der vierfüßigen Künstler als Kunstreiter. Was wir bei Menschen bewundern, das leisten diese Tiere... Das afrikanische Gastmahl, die Madame Pompadour, die unglückliche Spazierfahrt, tanzende und spinnende Hund... Kurz, man findet hier die reichste Abwechslung und kommt gar nicht aus dem Staunen heraus.“

Kulturelle Inklusion

Offensichtlich ist das Markgräfliche Opernhaus in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer altersübergreifenden Unterhaltungsstätte geworden, die alle gesellschaftliche Gruppen einschließen konnte. Wie andernorts das Stadttheater wurde hier das Haus der Wilhelmine zum unverzichtbaren Bestandteil der urbanen Infrastruktur. Ott spricht von einem „Haus kultureller Inklusion, das mit der nun unpopulären markgräflichen Kultur nur noch optisch in Verbindung stand.“

Laut dem Thurnauer Historiker dauerte die Phase der Nutzung des Opernhauses als Alltagsspielstätte bis in die 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Dann übernahm die nach dem damaligen NS-Ministerpräsidenten von Bayern Ludwig Siebert benannte Veranstaltungshalle viele Funktionen des Opernhauses. Und: „Das Markgräfliche Opernhaus wandelte sich im 20. Jahrhundert weg von einem Ort pragmatischer Aufführungskultur im historischen Gewand hin zu einem zentralen kulturellen Zeugnis des 18. Jahrhunderts.“

Ab April 2018 wird sich zeigen, was das 21. Jahrhundert mit Wilhelmines einstigem Musentempel veranstalten wird.

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