Kritiker: Umstrittener Paragraf verhindert sachliche Information
Seit damals hat sich in Deutschland aber viel verändert, vor allem die Zahl anzeigepflichtiger Abtreibungen. Seit 1996 gibt es eine einheitliche Statistik. Ende der 90er-Jahre erfasste das Statistische Bundesamt jährlich über 130.000 Abtreibungen. Ab 2001 gingen die Zahlen beständig zurück auf weniger als 99.000 im Jahr 2016. Lebend zur Welt kamen Ende 2016 und 20 Jahre zuvor etwa ähnlich viele Babys.
Während die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche zurückzugehen scheint, flammt die Selbstbestimmungsdebatte seit einige Tagen voll auf. Die Unterstützung für Hänel ist dabei immens: die Ärztin selbst hat eine Online-Petition gestartet gegen den Paragrafen 219a, der nach Meinung von Kritikern nicht nur Werbung, sondern auch neutrale und sachliche Informationen verhindert.
Linke stellt Antrag zur Streichung von Paragraf 219a
Zahl der Unterschriften kurz nach ihrer Verurteilung: über 115.000. Vor dem Amtsgericht in Gießen fordert die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Cornelia Möhring, kurz vor Prozessbeginn die Streichung des Paragrafen. Ihre Fraktion habe einen Gesetzentwurf dazu eingebracht, sagt sie.
Der Staatsanwalt erläutert vor Gericht hingegen, warum er eben jenen Paragrafen für berechtigt hält. Ziel des Gesetzes sei es, dass der Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit nicht als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert werden. Buhrufe im Saal.
Wo fängt Werbung an?
Die strittigen Textpassagen, die vor zwei Jahren auf Hänels Homepage erreichbar waren, bezeichnet der Staatsanwalt zwar als «seriöse und sachliche» Informationen, doch eben verknüpft mit einem Hinweis auf das eigene Honorar. «Die Werbung muss nicht reißerisch sein.»
Hänel hat derzeit viele Unterstützer, aber auch Gegner: seit langem wird ihr Name neben denen zahlreicher anderer Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, auf Internetseiten von Abtreibungsgegnern angeprangert. Auf einer Seite werden Schwangerschaftsabbrüche als «Steigerungsform» von Konzentrationslagern im Dritten Reich bezeichnet. Vor dem Eingang des Gerichts tauchen nur zwei oder drei Kritiker auf. Während die Ärztin im Saal auf den Beginn des Prozesses wartet, hallen «Haut ab!»-Chöre, die unten gegen Hänels Kritiker angestimmt werden, hoch.