Abgastests: Autobauer am Pranger

Von Thomas Strünkelnberg,
Ein Javaneraffe. Foto: Stefan Rampfel/dpa Foto: red

Affen mussten Dieselabgase einatmen, dazu der Verdacht auf Versuche an Menschen: Mit umstrittenen Schadstofftests haben sich Deutschlands Autobauer schlagartig wieder mitten in den Abgasskandal katapultiert.

 
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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verurteilte die Diesel-Schadstoffversuche an Affen scharf - und forderte Aufklärung. Bundesverkehrsminister Christian Schmidt (CSU) sprach von einem gestörten Vertrauen in die Autoindustrie.

Ethisch nicht zu rechtfertigen

«Diese Tests an Affen oder sogar Menschen sind ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen», sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Denn zuvor war sogar der Verdacht aufgekommen, dass es im Abgasskandal Schadstofftests nicht nur mit Affen, sondern auch mit Menschen gegeben haben soll.

VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch teilte mit: «Im Namen des gesamten Aufsichtsrates distanziere ich mich mit allem Nachdruck von derlei Praktiken.» Die Vorgänge müssten «vorbehaltlos und vollständig aufgeklärt werden». Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil forderte umfassende Aufklärung, Betriebsratschef Bernd Osterloh verlangte personelle Konsequenzen.

Sondersitzung der Untersuchungskommission

Der geschäftsführende Verkehrsminister Schmidt betonte, er sei als Verkehrsminister «und auch als Tierschutzminister in keiner Weise bereit, solche Verhaltensweisen hinzunehmen». Die betroffenen Hersteller seien zu einer Sondersitzung der Untersuchungskommission des Verkehrsministeriums zum Abgasskandal gebeten worden und sollten dort umgehend und detailliert informieren.

Der Verdacht, dass mit Menschen experimentiert worden sei, war aus einem Report des Lobby-Instituts EUGT hervorgegangen, über den «Stuttgarter Zeitung» und «Süddeutsche Zeitung» berichteten.

Grenzwert am Arbeitsplatz

Diesem Vorwurf trat allerdings der zuständige Institutsleiter Thomas Kraus von der Universität Aachen entgegen: eine entsprechende Studie befasse sich nicht mit der Dieselbelastung von Menschen. In der Studie von 2013 - lange vor Bekanntwerden des VW-Dieselskandals - gehe es um den Stickstoffdioxidgrenzwert am Arbeitsplatz, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. 25 gesunde Menschen seien Konzentrationen ausgesetzt worden, die unterhalb der Belastung am Arbeitsplatz lägen. Die Ethikkommission der Uniklinik Aachen habe die 2016 veröffentlichte Studie geprüft und genehmigt. Auch Volkswagen bestritt einen Zusammenhang mit der Dieselaffäre.

Stickstoffdioxid (NO2) ist der Schadstoff, dessen Messwerte von VW in den USA jahrelang manipuliert worden waren, um die gesetzlichen Grenzwerte für Dieselfahrzeuge offiziell einzuhalten. Tierversuche beim Test von Dieselabgasen, die durch US-Ermittlungen zur VW-Abgasaffäre bekannt geworden waren, hatten Empörung ausgelöst. Zehn Affen, genauer gesagt Javaneraffen oder Langschwanzmakaken, waren dabei gezielt Schadstoffen ausgesetzt worden.

Studie von Autokonzernen gefördert

Kraus erklärte, die NO2-Konzentration für die Aachener Studie sei dagegen vergleichbar mit der in der Umwelt gewesen. Die Probanden seien dieser Konzentration für drei Stunden ausgesetzt worden, gesundheitliche Effekte habe es nicht gegeben. «Es gibt keinen Zusammenhang mit dem Dieselskandal», betonte er.

Allerdings förderte die von den Konzernen VW, Daimler und BMW gegründete Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT) die Studie. Die Forscher seien aber «in keinster Weise» beeinflusst worden, sagte Kraus.

Schon am Wochenende hatte sich Volkswagen für die Versuche mit Affen entschuldigt. Die Tests sollten beweisen, dass die Diesel-Schadstoffbelastung dank moderner Abgasreinigung stark abgenommen hat. In Auftrag gegeben hatte die EUGT diese Studie, federführend soll VW gewesen sein.

Absurd und widerlich

VW-Chefkontrolleur Pötsch kündigte an, der Aufsichtsrat werden sich bald mit dem Thema beschäftigen. «Wer auch immer dafür Verantwortung zu tragen hat, ist selbstverständlich zur Rechenschaft zu ziehen.» Weil bezeichnete die Versuche als «absurd und widerlich» - dies gelte erst recht, wenn es zu Versuchen an Menschen gekommen sein sollte.

Seibert sagte, die Autokonzerne hätten Schadstoffemissionen zu begrenzen und Grenzwerte einzuhalten - und nicht die vermeintliche Unschädlichkeit von Abgasen zu beweisen. Maßgeblich sei der Zweck solcher Testreihen - gehe es darum, die Belastung am Arbeitsplatz zu testen, lasse sich das vertreten, erklärte Weil. Dienten die Testreihen aber Marketing und Verkaufsförderung, «fällt mir keine auch nur von ferne akzeptable Begründung für ein solches Vorgehen ein». Niedersachsen ist VW-Großaktionär.

Erschüttert

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) verurteilte die Schadstofftests: «Hier zeigt sich einmal mehr: Technik und Wissenschaft müssen sich grundsätzlich im Rahmen des gesellschaftlich und ethisch Verantwortbaren bewegen», sagte VDA-Präsident Matthias Wissmann. Dies sei eine ständige Aufgabe für jede Industrie. «Ohne ethisches Fundament gewinnt man keine Zukunft.»

Auch Daimler distanzierte sich ausdrücklich von den Studien und der EUGT. «Wir sind über das Ausmaß der Studien und deren Durchführung erschüttert», hieß es in einer Stellungnahme. Daimler verurteile die Versuche auf das Schärfste. «Auch wenn Daimler keinen Einfluss auf den Versuchsaufbau hatte, haben wir eine umfassende Untersuchung eingeleitet, wie es dazu kommen konnte.»

Umweltsünder auf vier Rädern

BMW erklärte, an den genannten Studien nicht mitgewirkt zu haben. «Wir haben umgehend mit einer internen Untersuchung begonnen, um die Arbeit und Hintergründe der EUGT sorgfältig aufzuklären», teilte der Autobauer mit. Dazu zähle auch ein umfassender und sachlicher Abgleich der Studienmethodik mit vergleichbaren wissenschaftlichen Untersuchungen.

«Weder Mensch noch Tier dürfen für solche sinnlosen Versuche herhalten. Es ist unfassbar, dass Lebewesen missbraucht werden, um diese Umweltsünder auf vier Rädern, die Mensch und Umwelt massiv schädigen, auf die Straße zu bringen», sagte Marius Tünte, Sprecher des Deutschen Tierschutzbundes.

Der Grünen-Fraktionsvize im Bundestag, Oliver Krischer, sagte: «Wenn eine Lobbyorganisation der Autoindustrie Menschen einem giftigen Gas aussetzt, um so seine angebliche Ungefährlichkeit zu beweisen, dann macht das fassungslos.»

Kuschelkurs beenden

Christina Deckwirth von Lobbycontrol sagte: «Das erinnert an die Fake-Science-Methoden der Tabak- oder Lebensmittelindustrie: Wissenschaftler finanzieren, um die gesundheitlichen Schäden ihrer Produkte zu bagatellisieren und schärfere Gesetze abzuwenden.» Die Bundesregierung müsse den «Kuschelkurs» mit der Autoindustrie beenden.

Für die Tierschutzorganisation «Ärzte gegen Tierversuche» sind die Versuche mit Affen kein Einzelfall. «Toxikologische Versuche an Affen sind leider gängig, auch in Deutschland», sagte Vereins-Vize Corina Gericke. «Danach werden sie meistens getötet, um die Organe zu untersuchen.» Dabei könnten keine Rückschlüsse für den Menschen gezogen werden.

Der Abgasskandal war im September 2015 ins Rollen gekommen. Damals hatte VW zugegeben, bei Millionen von Dieselfahrzeugen die Abgasreinigung manipuliert zu haben. Dies stürzte den Konzern in eine tiefe Krise, der Skandal kostete Milliarden. Die Neuzulassungen von Dieselmodellen sind seit Monaten auf Talfahrt.

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