310 Jahre alte Bibel hat viel erlebt

Von Andreas Gewinner
Irmintraut Jasorka mit der Familienbibel aus dem Jahr 1706. Das imposante Erbstück hat Flucht und Vertreibung miterlebt. An diesem Freitag, 16. September, steht es im Mittelpunkt im Industrie- und Glasmuseum. Foto: Andreas Gewinner Foto: red

Als Buch ist sie schon imposant genug, die 310 Jahre alte Bibel. Aber ebenso interessant ist die damit verbundene Geschichte, in der es mehr als einmal um Flucht und Vertreibung geht: Die Familienbibel aus dem Besitz von Irmintraut Jasorka. Am Freitag, 16. September, steht sie ab 17 Uhr im Mittelpunkt des 26. Museumsgesprächs im Industrie- und Glasmuseum in Bischofsgrün.

 
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Mächtig, schwer, mit Eisenbeschlägen, altersschwarz, wurmstichig – aber der Einband ist weitgehend intakt, keines der mehr als 600 Blätter ist lose: die Familienbibel von Jasorkas Stiefgroßmutter. Das wertvolle Stück gehört zu den wenigen Dingen, die die Familie bei ihrer Flucht aus Ostpreußen 1945 gerettet hatte. 17 Pferdefuhrwerke – Familie, Angestellte und deren Angehörige, darunter ein sechs Wochen altes Baby – hatten sich damals auf den Weg nach Westen gemacht. Nur zwei Fuhrwerke kamen an, erst in Mecklenburg und schließlich in Berlin. Und immer dabei: die schwere Bibel, geistiger Anker in schwerer Zeit.

Entsetzliche Sonntagsschule

Irmintraut Jasorka (81) hat die Flucht selbst nicht mitmachen müssen, sie erlebte das Kriegsende in Jena. Ostpreußen kannte sie von langen Sommeraufenthalten auf dem großelterlichen Gutshof. Und mit der Bibel, dem ehrwürdigen Familienstück, verbindet sie durchaus zwiespältige Erinnerungen. Zum Beispiel an die „Sonntagsschule“. „Entsetzlich“, sagt sie heute noch. Der Hof war weit weg von jeder Kirche. Die fand dafür sonntags von 9 bis 12 Uhr für bis zu 20 Kinder statt, wenn die Großmutter biblisches Geschehen in eigenen Worten wiedergab. Und die Kinder Bibeltexte auswendig lernen mussten: „Großmutter war überfromm.“ 30 Jahre später sah Jasorka noch mal die sommerliche Kindheitsstätte wieder. Vom Gutshof waren nur ein paar Steine übrig geblieben.

Dem Ruf des Königs gefolgt

Glaube, Flucht und Vertreibung spielten nicht erst im 20. Jahrhundert in der Familie eine Rolle. Jasorkas Vorfahren mütterlicherseits waren Protestanten aus Salzburg. Der dortige Bischof stellte sie 1732 vor die Alternative: Katholisch werden. Oder gehen. Die Familie folgte einem Ruf des preußischen Königs, der das von der Pest entvölkerte Ostpreußen wiederbesiedeln wollte. Und Vorfahren von Irmintraut Jasorkas Mann Erich waren ebenfalls Glaubensflüchtlinge: Französische Protestanten, Hugenotten, für die im katholischen Frankreich kein Platz war.

Professor Erich Jasorka war Buchillustrator und hatte an der Freien Universität Berlin den Lehrstuhl für Buchform, Schrift und Grafik inne. Da versteht es sich von selbst, dass die alte Familienbibel mit ihrer reichen grafischen Gestaltung – trotz der damit verbundenen schlechten Erinnerungen – einen Ehrenplatz im übergroßen Bücherschrank der Jasorkas fand. Und dieser überreiche Bücherschrank voller alter und uralter, wertvoller Kunstwerke in Buchform lieferte auch die Stücke der Bücherausstellung im Museum in den Räumen des einstigen Tanzcafé Reißmann. Eine Ausstellung, die sich den Platz mit zeitlos Schönem aus Glas und auch manchen Kuriositäten teilt, die schon seit Jahren zu sehen ist und sich doch immer wieder ändert: Bücher verschwinden wieder, andere kommen hinzu, und fertig ist ein ganz neuer Schwerpunkt – mal Garten und Kräuter, Zeitgeschichte, Bilderbücher, Buchgestaltung. Und vieles liegt offen auf, lädt zum Blättern ein.

Garantiert ohne Auswendiglernen

Am Freitag also geht es um das Buch der Bücher, die Bibel. „Kann die Bibel die Welt verändern? Oder den Menschen? Etwa den Krieg verhindern? Ist sie nur noch Lektüre“, fragt Irmintraut Jasorka. Und verspricht: Diesmal muss niemand Bibeltexte auswendig lernen, wie damals in der ostpreußischen Sonntagsschule.

Abgesehen vom Freitag, 16. September, ab 17 Uhr ist das Glas- und Industriemuseum Fichtelgebirge über dem Nahkauf jeden Sonntag von 11 bis 16 Uhr geöffnet.

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