20.000 Euro zum Start: "Nette Idee"

Von Peter Rauscher
Ein Haufen Geld: 20.000 Euro Startkapital würde Arbeitsministerin Andrea Nahles Berufsanfängern gerne zur Verfügung stellen. Der Vorschlag lässt aber viele Fragen offen. Foto: Archiv/Ulrich Perrey/dpa Foto: red

20.000 Euro geschenkt vom Staat – das klingt wie ein Märchen. Geht es nach Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, soll dieses Märchen wahr werden. Die SPD-Politikerin hat vorgeschlagen, dass jeder Arbeitnehmer beim Start ins Arbeitsleben ein persönliches Erwerbstätigenkonto mit 20.000 Euro Guthaben erhalten sollte, um sich aus- und weiterzubilden oder selbstständig zu machen. Der Vorschlag kommt aus Bayreuth, doch bei einer Kurier-Umfrage stößt er auf ein geteiltes Echo.

 
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Ronald Langer (Rektor der Altstadtschule in Bayreuth):

"Bei minderjährigen Abgängern aus Mittelschulen sollte die Verwendung des Geldes partnerschaftlich mit Erwachsenen erfolgen. Die Verwendung der 20.000 Euro müsste  zweckgebunden sein, dann wäre der Vorschlag sinnvoll. Wobei man sagen muss: Jeder Abgänger der Mittelschule, der eine Ausbildung machen will und die erforderliche Qualifikation dafür hat, bekommt heutzutage eine Lehrstelle. Wenn aber zum Beispiel eine Ausbildung an einer Fachschule im Gesundheitswesen angestrebt wird, gibt es dort oft -  im Gegensatz zum Dualen System - keine Ausbildungsvergütung. Hier wäre ein Erwerbstätigenkonto sicher eine Hilfe."

Marion Hofmann (Bayreuther Beraterin von Arbeitslosen im Auftrag der Erzdiözese Bamberg):

"Eine nette Idee, aber sicher nicht die Lösung. Es ist nicht nachvollziehbar, wenn zum Beispiel ein gutsituierter Zahnarztsohn das Gleiche erhalten soll wie die Tochter eines Fabrikarbeiters oder eines Arbeitslosen. Einkommensausfälle bei Weiterqualifizierung, Existenzgründung oder auch Ehrenamtlichen-Engagement ließen sich mit bereits heute bestehenden Mitteln, zum Beispiel durch die Agentur für Arbeit, kompensieren. Außerdem ist die Finanzierung völlig ungeklärt. Insgesamt erscheint mir diese zu pauschal und als ein weiteres Zeichen für den totalen Rückzug des Staates aus der Verantwortung für den Arbeitsmarkt. Das Problem "Arbeitslosigkeit" wird weiter individualisiert, und die alleinige Verantwortung dem Einzelnen zugeschoben - nach dem Motto Hättest ja nur was aus Deinem  Erwerbstätigenkonto machen müssen.“

Christian Porsch, Vorsitzender Kreisjugendring Bayreuth: „Prinzipiell sind alle Überlegungen zu unterstützen, die das ehrenamtliche Engagement in unserer Gesellschaft fördern. Im Landkreis Bayreuth haben wir laut einer kürzlich vom Kreisjugendring in Auftrag gegebenen Studie ein überdurchschnittliches ehrenamtliches Engagement unter jungen Menschen. Diese Strukturen gilt es zu erhalten und weiter auszubauen. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass sich junge Menschen in unserer vielfältigen Arbeitswelt, den kürzeren Ausbildungszeiten sowie dem Wegfall des Wehr- und Zivildienstes immer öfter vor ihrem beruflichen Einstieg orientieren möchten. Ein freiwilliges soziales Jahr oder der Bundesfreiwilligendienst ohne damit verbundene größere finanzielle Einbußen wären ein richtiger Ansatz, der gut für die Jugendarbeit, das kulturelle Leben oder den sozialen Bereich wäre. Ob ein Erwerbstätigenkonto dafür die richtige Lösung ist, kann ich noch nicht beurteilen. Wichtig ist aber die Diskussion darüber, ob sich unsere Gesellschaft das leisten kann und will.“

David Stadelmann (Wirtschaftsprofessor an der Universität Bayreuth): "Genau diesen Vorschlag hatte ich unter dem Begriff „Startkapital“ vor bereits über einem Jahr gemacht (der Kurier berichtete). Ein solches Startkapital kann jungen Leuten beim Start ins Berufsleben oder bei der Weiterbildung helfen. Da es an eine Person gebunden wäre, erlaubt es Mobilität und Flexibilität. Ökonomisch betrachtet kann jedes Kapital als Zahlungsstrom ausgegeben werden und ist daher vergleichbar mit einem Einkommen. Darüber hinaus kann eine einmalige Kapitalzahlung gut mit Bedingungen für deren Erhalt oder Ausgaberestriktionen verknüpft werden. Ein Startkapital hat damit viele Vorteile gegenüber einem Grundeinkommen. Im Gegenzug und zur Finanzierung müssten wieder Studiengebühren eingeführt werden und unter anderem Förderprogramme für Weiterbildung oder Existenzgründungen gekürzt werden."

Hartmut Koschyk (CSU-Bundestagsabgeordneter): „Ich persönlich sehe den Vorschlag sehr skeptisch. Bundesministerin Nahles selbst bleibt eine Antwort schuldig, wie ein solches Erwerbstätigenkonto überhaupt finanziert werden soll. Ich selbst sehe hierfür keine finanziellen Handlungsspielräume. Zudem gibt es bereits heute die Möglichkeit zum Aufbau von Wertguthaben, um eine finanziell abgepufferte und sozialversicherungsrechtlich geschützte Auszeit vom Beruf zu nehmen, etwa für die Kindererziehung, die Pflege Angehöriger, für ein Sabbatical oder für Weiterbildung, was allerdings bisher noch zu wenig genutzt wird.“

Anette Kramme (SPD, Sozialstaatssekretärin): „Wir haben als Bundesarbeitsministerium Ende 2016 „Weißbuch Arbeiten 4.0“ zur Gestaltung der Arbeitswelt von morgen vorgelegt. Ein Denkanstoß für die Zukunft ist ein Persönliches Erwerbstätigenkonto auch im Sinne eines „Sozialerbes“ für jeden Bürger. Gemeint ist ein Startguthaben, das dazu verwendet werden kann, berufliche Entwicklungs- und Aufstiegschancen wahrzunehmen und die eigenen kreativen Potenziale zu verwirklichen. Wir sind davon überzeugt, dass es garantierte Freiheiten für jede Bürgerin und jeden Bürger braucht, um die Chancen der zukünftigen Arbeitswelt ergreifen zu können und zum Beispiel eine Unternehmensgründung in die Tat umzusetzen oder eine berufliche Neuorientierung und Weiterqualifizierung in Angriff zu nehmen.“

Kerstin Spieler (Sprecherin der Handwerkskammer für Oberfranken): "Das oberfränkische Handwerk begrüßt im Prinzip jede Initiative, die die zielgerichtete Aus- und Weiterbildung von Fachkräften unterstützt. Das vorgeschlagene Modell eines Erwerbstätigenkontos ist jedoch sehr unkonkret . Sie lässt  die Frage nach dem konkreten Zweck  offen -  ist der Beitrag „nur“ für die Qualifizierung oder auch für Auszeiten gedacht?  Auch die interessanteste Frage nach der Finanzierung bleibt unbeantwortet. Klar aus unserer Sicht ist: Die Betriebe dürfen durch eine derartige Initiative nicht weiter belastet werden. Sie tragen bereits einen wesentlichen Teil der Kosten für die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter. Sollte es dabei also Entlastungen geben, müssten zum Beispiel beim Prinzip der Dualen Ausbildung auch die Betriebe unterstützt werden."

Wolfram Brehm (Stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK für Oberfranken Bayreuth): "In Zeiten von Fachkräftemangel und Digitalisierung der Wirtschaft gewinnt die Qualifikation der Mitarbeiter immer mehr an Bedeutung. Aus- und Weiterbildung sowie lebenslanges Lernen sind die Basis für den Erfolg der oberfränkischen Wirtschaft. Längst zeigen unsere Unternehmen mehr Flexibilität bei der Gewinnung und Qualifizierung von Fachkräften. Neue Ideen zur Fachkräftegewinnung sind deshalb stets willkommen. Ob ein Erwerbstätigenkonto dazu beitragen kann, dieses Ziel zu erreichen, lässt sich derzeit aber schwer beurteilen."

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