Spitzenmusikern anderer Orchester 150 Stunden Wagner pro Sommer

Gert-Dieter Meier
 Foto: red

In Bayreuth ist vieles besonders – und manches einmalig. Das Theater an sich, das nur an 30 Tagen pro Jahr bespielt wird. Der abgedeckelte, teils unter der Bühne liegende Orchestergraben, mystischer Abgrund genannt. Und das Orchester selbst, das sich aus Musikern deutscher und internationaler Spitzenorchester zusammensetzt.

 
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Musiker, die neben dem Spaß am Musizieren vor allem eine Leidenschaft teilen – die Musik Richard Wagners, deretwegen sie sogar ihren Jahresurlaub opfern.

Der Bayreuther Sommermarathon: Rund 150 Stunden Wagner spielt jedes Orchestermitglied pro Sommer. Daniel Draganov, Michael Lösch und Professor Matthias Weber bilden den Vorstand des weltweit einzigartigen Festspielorchesters. Der Kurier sprach mit dem Trio, das die Interessen der 187 Orchestermusiker vertritt.

Wagner boomt. Allüberall wird er gespielt. An großen und kleinen Häusern. Und meistens ist es der „Fliegende Holländer“, der dann auf dem Spielplan steht. Ein Werk, an dem sich jeder Kapellmeister versucht. Und es dann auch irgendwie hinbekommt. Irgendwie ... Der „Holländer“, die einfachste aller Wagneropern?

Falsch, sagt Christian Thielemann, der derzeit wohl gefragteste Wagner-Dirigent. Er bezeichnete die Oper, die er heuer zum ersten Mal in Bayreuth dirigiert hat, unlängst sogar als noch schwerer als die „Meistersinger“. Wie sehen die Musiker diese Aussage? Kaum verwunderlich – sie sehen es nicht anders.

„Die Dirigenten, die hierherkommen, spielen in der höchsten Klasse. Jeder gibt dem Ganzen etwas Besonderes, eine eigene Farbe“, sagt Weber. Und diese Maestro-Mischung wiederum erweitere das Spektrum jedes einzelnen Orchestermusikers. Was sie aber sagen, die Musiker: Es brauche einfach eine gewisse Zeit, um mit den besonderen Gegebenheiten des Hauses zurechtzukommen. Um abschätzen zu können, wie man im Probenlokal Festspielrestaurant zu spielen hat, damit es später, im Graben, auch richtig klingt. Insofern begrüßt es der Orchestervorstand ausdrücklich, dass auch die Festspielleitung an einer langfristigen Bindung der Dirigenten interessiert sei.

Der größte Unterschied zwischen dem Festspielorchester und allen anderen? Daniel Draganov braucht nicht lange zu überlegen: „In jedem Heimatorchester haben Sie Leute, die Mozart lieben. Oder Wagner. Oder eben Wagner gerade nicht. Trotzdem muss man spielen, was gerade angesetzt wird. Die Leute, die nach Bayreuth kommen, wollen unbedingt Wagner auf höchstem Niveau spielen – freiwillig! Das finden Sie in keinem anderen Orchester der Welt“, sagt Draganov.

Insofern verbietet sich für die Wahlbayreuther auch die Diskussion darüber, ein stehendes Orchester in den Bayreuther Orchestergraben zu stecken. Draganov unmissverständlich: „Sie lassen ja auch nicht Jahn Regensburg für Bayern München in der Champions League spielen.“ Michael Lösch winkt bei diesem Thema, das die Politik in unregelmäßigen Abständen wieder auf die Tagesordnung bringt, ebenfalls kategorisch ab: „Damit würde man einen der größten Schätze der Festspiele vernichten! Dieses Orchester, in dem viele seit zehn, zwanzig oder 30 Jahren Wagner spielen, ist über die Jahre zusammengewachsen zu einem ganz besonderen, ja: einmaligen Klangkörper. Kein anderes Orchester der Welt spielt Wagner so gut wie wir.“ 150 Prozent für Wagner und Bayreuth.

In der Tat gehört schon viel Begeisterung dazu, sich diesem Sommertheater alljährlich zu verschreiben. Im kommenden Jahr, in dem ein neuer „Ring“ gespielt wird, sind die dann 200 Musiker inklusive Proben rund 70 Tage in Bayreuth. Laut Tarif steht den Musikern aber nur ein Jahresurlaub von 45 Tagen zu. Draganov: „Man muss enorme Anstrengungen unternehmen in den Heimatinstituten, um sich diese Zeit durch Vorspielen und Nachspielen überhaupt freizuschaufeln.“ Will heißen: Jedes Mitglied dieses Orchesters müsse gewaltige Opfer bringen, um hier spielen zu dürfen. Das gebe es in diesem Ausmaß in keinem anderen Ensemble.

Ob man sie ob dieser Leidenschaft nicht auch schräg anschaue? „Das kommt vor“, sagt Lösch, – „aber nicht nur bei Kollegen, sondern auch bei unseren Ehepartnern und Familien“, die häufig über Jahre hinweg nur ein Sommerreiseziel kennen: Den Grünen Hügel. Deshalb reisen die Musiker häufig auch mit der ganzen Familie im „Sommercamp Bayreuth“ an.

13 Neulinge spielen in diesem Jahr im Orchester – die übliche Fluktuation. Ob es schwierig sei, neue Musiker für die Aufgabe Bayreuth zu begeistern? „Überhaupt nicht“, sagt Draganov, „die Bewerbungsmappe ist sehr dick. Denn für jeden Musiker, der Wagner liebt, ist es eine Ehre, hierher berufen zu werden.“

Dass in diesem Jahr der Solocellist der Wiener Philharmoniker neu zum Orchester gestoßen ist, freut den Orchestervorstand zwar, es sei aber „nichts Besonderes“, sagt Draganov. „Wir sind das Bayreuther Festspielorchester, in dem lauter Wagnerbesessene musizieren.“ Von welchem Heimatorchester die kämen, sei zweitrangig. Das Team ist der Star – eine Grundhaltung, mit der Wolfgang Wagner schon immer gut gefahren ist.

Aktuell beschäftigt sich der Orchestervorstand zum einen mit der Planung für die Barcelona-Tournee – da spielt das Orchester an sechs Tagen fünf Abende lang Wagner –, zum anderen auch schon mit dem Richard-Wagner-Geburtstagskonzert 2013. Draganov: „Das ist logistisch schon ein ziemlicher Aufwand, aus ganz Deutschland und dem europäischen Ausland die Musiker für einen Tag hier zusammenzubringen.“

Worum das Orchester den Chor der Bayreuther Festspiele beneidet? „Um den Chorsaal!“, sagt Michael Lösch. Denn die Probensituation im Steigenberger-Festspielrestaurant entspricht noch nicht einmal im Ansatz dem Renommee des Klangkörpers. Draganov: „Es geht ja nicht nur darum, dass man ab 11 Uhr riecht, was es später zu essen gibt, sondern es gibt dort erhebliche akustische Nachteile, mit denen man fertigwerden muss.“ Probleme, die man nur durch die Erfahrung der Dirigenten und der Musiker wettmachen kann. Optimal aber ist anders. Lösch: „Im Graben spielt man einfach ganz anders als im Restaurant.“ Üppige Probenzeiten? Fehlanzeige! Draganov: „In keinem anderen Haus gibt es so wenig Probenzeiten wie hier.“ Das sei nur dadurch auszugleichen, dass die Musiker ihre Stücke kennen, sozusagen nur noch der Feinschliff zu erledigen ist. Geprobt wird dennoch täglich – im Schnitt sechs Stunden. Dass nicht häufiger im Orchestergraben geprobt werden kann, liegt daran, dass auf der Bühne ständig szenisch geprobt oder gebaut wird.

Wagner ist also – auch – harte Arbeit. Dennoch sagen die Musiker, dass sie nach einer Spielzeit in Bayreuth meist gut erholt in ihre Heimatorchester und Großstädte zurückkehren. Draganov: „Wir genießen diese Region.“ Und die Biergärten, wie Michael Lösch ergänzt. Überhaupt lassen die Musiker, die meist mit ihren Familien hier den Sommer verbringen, viel Geld in der Region. Schließlich ist Bayreuth ihr Lebensmittelpunkt auf Zeit.

Und weil sie sich einlassen auf die Stadt und ihre Menschen, weil sie Tennis, Golf oder Fußball hier spielen oder zu Festen eingeladen werden, entstehen natürlich auch Freundschaften, „die oft ein Leben lang halten“, wie Matthias Weber sagt. Draganovs Ergänzung: „Die Bayreuther sprechen oft von unserem Orchester. Die Bande zwischen den Musikern und den Menschen hier sind sicherlich enger als in vielen Heimatstädten.“

Foto: Lammel